vom 21.09.2023

Zeitreise ins haltlose Jahr 1923

Als die Deutschen waren wie ihre Währung

Siegburg. Es gibt Jahre, da ist die politische Turbulenz überschaubar. Welche Nachrichtenlage verbinden Sie beispielsweise mit 1976? Mit 1994? 

1923 geht es drunter und drüber. Es passiert so viel, dass es für eine Dekade reicht. Die Wildheit dieses Jahres der ungelöschten Brände fingen Schauspieler Roman Knižka und die Bläser des Quintetts "Opus 45" am Dienstagabend in einem überrumpelnd-ekstatischen Lesungskonzert in der Bibliothek ein. 

Festschnallen, es geht los. Chaplin watschelt. Der Brotpreis galoppiert in Milliardenhöhen. Politik ist Gewalt. In München und in Sachsen wird die Republik angegriffen, von rechts und von links. In Essen sterben 13 Arbeiter von Krupp, erschossen von französischen Soldaten. "Westfälisches Blut", titeln die Gazetten, vergossen vom "Erbfeind Frankreich". Dieser entsendet farbige Kolonialsoldaten an Rhein und Ruhr. "Schwarze Schmach" heißt die Propagandawaffe. Meldungen über den Missbrauch unschuldiger blonder Frauen kursieren massenhaft. Fake News, weit vor Trump beziehungsweise kurz vor seiner Geburt. 

Auch in Berlin ist 13 eine Unglückszahl. Innerhalb einer Nacht versuchen sich 13 Menschen in der Hauptstadt umzubringen. Sie wollen dem Hungertod zuvorkommen. Diejenigen, die Abstand halten vom Strick, tanzen, bis sie umfallen. Foxtrott, Charleston. Nackt oder im Kostüm. Passend dazu der Gassenhauer des Jahres: "Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen". 

Die Spitze der Vergnügungssucht ist das Sechstagerennen. 7.000 Schluckspechte neben der Piste, eine Handvoll Radfahrer auf der Bahn. Im Mittelpunkt steht der Zapfhahn, als die knarzende Lautsprecherstimme das jähe Partyende für einen Sportsfreund verkündet: "Dietrich Matschke aus der Schönhauser Allee, jehn se mal besser nach Hause, Ihre Frau hat sich jerade et Leben jenommen."

Haupt- und Nebenpersonen? Hitler schießt in die Bierkellerdecke. Goebbels beginnt eine Banklehre. Zum Journalismus hat's nicht gereicht. Jemand, der schreiben kann, ist Rainer Maria Rilke: "Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang." Wie wahr, wie wahr. Klaus Mann kommentiert nüchterner: "Die Deutschen waren wie ihre Währung. Instabil." 

Zurück in die Bibliothek: Als Tucholskys und Brechts Worte verstummen, Eislers und Hindemiths Töne, die wirken wie der Soundtrack eines Polit-Thrillers, verklingen, da stehen 80 Zuhörer auf und applaudierten frenetisch. Beseelt verlassen sie die Plätze vor der Literaturbühne. Denkwürdig ist das Attribut dieses fast zweieinhalbstündigen Abends.

Was bleibt von der Veranstaltung, die die Landeszentrale für politische Bildung kostenlos in ausgewählten NRW-Städten zu freiem Eintritt anbietet? "Wachsamkeit und Einsatz für die Demokratie, die nicht selbstverständlich ist", bringt es Bürgermeister Stefan Rosemann auf den Punkt. 

Noch einmal zurück zu 1923. Die Demokratie wankt, sie fällt nicht. So notiert es der britische Botschafter in Berlin, beeindruckt von der Resistenz der angegriffenen Staatsform, am Silvestertag in seinem Tagebuch. Dennoch bleibt Weimar ein Demokratieversuch. Das Feuer an den Rändern glimmt weiter. 1933 kippt Deutschland. Der Fall ist tief und dauert zwölf dunkle Jahre. Foto: Gruppenbild mit dem TV-bekannten Schauspieler Roman Knižka im weißen Hemd in der Mitte. 

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