vom 28.11.2022

Remmel meets Rehmann

Geschichtsverein bot Literatur von der Kanzel

Siegburg. Das Leben des verstorbenen Vaters zu einem Roman zu verarbeiten, ohne es kitschig-sentimental werden zu lassen, ohne dass das Buch zum Plädoyer für oder zur Anklageschrift gegen den Erzeuger gerät, ist der Ritt auf der viel zitierten Rasierklinge. 

In ihrem 1979 erschienenen Roman "Der Mann auf der Kanzel - Erinnerungen an einen Vater" hat Ruth Rehmann diese Gratwanderung erfolgreich absolviert, wie Buchhändler und Verleger Paul Remmel den rund 40 versammelten Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Lesung in der Auferstehungskirche einleitend an die Hand gab. 

Die Erzählung kreist um August Hermann Rehmann, evangelischer Pfarrer in Siegburg von 1918 bis 1940, und seine Tochter, hinter der sich die Schriftstellerin verbirgt.

Remmel trug vor aus diversen Textstellen, stieg ein mit dem an der Hand des Vaters über die Kaiserstraße hüpfenden Mädchen - kindlicher Übermut paart sich mit dem im Pastorenhaushalt allzeit vorgelebten Maß an sittsamer Vorbildlichkeit. Der Herr Papa ist ein Seelsorger im besten Sinne, der die Topografien der Seelen seiner Gemeinde kennt wie die eigene Westentasche. Er empfängt den von der Farben-Fabrik gefeuerten "Proleten", der nachts um drei mit betrunkener Zorneswut vor der Türe steht und um Hilfe bittet. Er pflegt einen mokanten Umgang mit der großbürgerlichen Elite, die ihn zum mehrgängigen Menü in die Villa einlädt und die er nach dem Kaffee um erhebliche Spendensummen erleichtert. 

Der Vater ist Militärpfarrer im Ersten Weltkrieg, danach, in der Weimarer Republik, noch immer der für ihn "guten alten Zeit" treu. Dem Kaiser sendet er jährlich Geburtstagsgrüße ins holländische Exil. Die politischen Grabenkämpfe des ersten deutschen Demokratieversuchs sind ihm zutiefst suspekt. Als die Nationalsozialisten marschieren, hält er die Gemeinde auf neutralem Kurs, navigiert sie zwischen den linientreuen Deutschen Christen und den Oppositionellen der Bekennenden Kirche. Auch aufgrund dieser Strapazen ist ihm nur ein kurzer Ruhestand beschieden. Rund um den Umzug zum Altersruhesitz in der Bonner Südstadt erkrankt er schwer.

Herzzerreißend schildert Rehmann das letzte Gespräch zwischen Vater und Tochter auf einer Bank am Rheinufer. Nachdenklich und still ist der frühere Daueroptimist und Tröster in der Not geworden. Er fühlt den Tod nahen und sich selbst von seinen Mitmenschen verlassen. Sie, das 18-jährige Nesthäkchen der Familie, ist mit den Gedanken bei einem Date in der Bonner Gronau, das zu platzen droht. Sie heuchelt Interesse, steckt den Alten, als es ihr zu lange dauert, in ein Taxi und schickt ihn nach Hause, um zum verabredeten Treffpunkt zu rennen: Der Schwarm ist längst weg, die Möglichkeit zur Aufmunterung und Verabschiedung des Vaters ein für alle Mal verpasst. 

Nach Remmels Vortrag, den Bilder der Zeit aus dem Stadtarchiv begleiteten, meldeten sich zwei Männer aus der Kirchenbank zu Wort. Der eine gibt an, von Pfarrer Rehmann getauft worden zu sein. Nicht von August Herrmann Rehmann, der Hauptfigur des Romans, sondern von dessen Sohn, der lange Pastor war in Ruppichteroth. Der andere Aufzeigende ist Dr. Holger Weitenhagen. Der Pfarrer im Ruhestand hat zur lokalen Kirchengeschichte in der NS-Zeit publiziert und möchte eine Lanze brechen für diejenigen Berufsgenossen, die im Dritten Reich einen dritten Weg der Unabhängigkeit jenseits der genannten Hauptströmungen innerhalb der evangelischen Kirche suchten. 

Der "Mann auf der Kanzel" ist leider nur noch antiquarisch aufzutun, im Netz allerdings ohne allzu großen Aufwand. Foto: Vorleser Paul Remmel in der adventlich geschmückten Auferstehungskirche. 

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