vom 14.09.2022

Möchten Sie ein Interview mit Reinhold Messner führen?

Äh, ja, warum denn nicht ...

Siegburg. Anruf einer Veranstaltungsagentur. Möchten Sie ein Interview mit Reinhold Messner führen? Äh, ja, natürlich, warum denn nicht? Messner tritt am 5. Oktober mit dem Programm "Nanga Parbat - mein Schicksalsberg" im Rhein Sieg Forum auf. Derartige Angebote im Vorfeld der Gastspiele sind üblich, der Kartenverkauf soll angekurbelt werden. 

Aber warum gerade jetzt? Der Kollege, Wanderführer im deutschen Alpenverein, wäre prädestiniert für die Befragung. Er ist weg. In den Bergen, wie immer im September. Die Kollegen nicken aufmunternd: "Du machst das schon!" Gut gesagt zu jemandem, der dort aufwuchs, wo selbst heidekrautbewachsene Endmoränen als "Berg" bezeichnet werden. Es gibt kein Entrinnen, weit und breit steht keine Seilschaft bereit, die absichert. Also Sauerstoffgerät aufgesetzt und hinauf auf den journalistischen Achttausender. Am Ende steht die Erkenntnis: Wie man einen Gipfelsturm nicht bis ins Detail planen kann, so entwickeln sich Gespräche mit Gipfelstürmern anders als erwartet. Weiterlesen! Foto (© Andreas H. Bitesnich): Berg-Ikone Messner. Diese Aufnahme verschüchtert nicht nur den Fragesteller.

Siegburg. Wir erreichen Reinhold Messner, der in drei Tagen 78 Jahre alt wird, am Handy, zwischen zwei Terminen. Er kommt von einem Workshop in Slowenien, hat am Tag darauf in München einen Termin. Der frühere Extremabenteurer ist als Redner gefragt wie eh und je.

siegburgaktuell: Zum Einstieg eine Frage, die uns alle auch selbst betrifft: Wie halten Sie sich fit?

Messner: Es ist nicht leicht, wenn man ständig unterwegs ist, etwas für die Kondition zu tun. Ich schaue, dass ich bei aller Beschäftigung immer Pausen für die Bewegung einplane. Jetzt gleich, wenn wir aufgelegt haben, gehe ich für ein paar Stunden bergwärts. 

siegburgaktuell: In einer Welt ohne Internet, ohne globalen Datenaustausch in Sekunden - wie haben sie sich 1970 auf ihre Expedition über die Rupalwand, mit 4.500 Metern die höchste Steilwand dieser Erde am pakistanischen Nanga Parbat, vorbereitet? Physisch und psychisch?

Messner: Geklettert bin ich seit jungen Jahren, hatte zum Zeitpunkt der Expedition am Nanga Parbat (damals war er 25, die Red.) schon einige Erfahrung. Das Bergsteigen ist nicht bloß ein Sport, es ist eine kulturelle Auseinandersetzung mit der Natur, mit der Welt, mit sich selbst. Entsprechend groß ist die Berg-Literatur, deren Werke nicht mit einem reinen Sportbuch vergleichbar sind. Ich hatte viel gelesen damals, heute besitze ich eine Bibliothek mit mehreren tausend Bänden zu dem Thema. Was 1970 an der Rupalwand im Himalaya auf uns wartete, das war und ist im ganzen Umfang erst dort zu erleben. Das muss man sehen, um zu begreifen. 

Untermalt mit nie gesehenen Bildern und Filmen wird Messner am 5. Oktober im Siegburger Rhein Sieg Forum den Bogen spannen von Albert Mummery, Willo Welzenbach, Hermann Buhl und Steve House, die am Nanga Parbat Geschichte geschrieben haben, bis zu seiner eigenen schicksalhaften Expedition, in der sein Bruder Günther sein Leben verlor, er parallel zur Tragödie seinen größten Erfolg erzielte. Die Bilder hat er, wie er sagt, "alle im Kopf, dazu jedes Detail und jede Erzählung". 

siegburgaktuell: Wie kam es zur Bezwingung der Rupalwand, wie passt sich der 1970er-Aufstieg ein in die alpinistische Geschichte?

Messner: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt sich das Höhenbergsteigen zur Blüte, allerdings wird 55 Jahre kein Achttausender bestiegen. Dann gab es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg technische Neuerungen, Nylon sei als Faktor genannt. Sehr schnell, in nur 15 Jahren, wurden alle Achttausender bezwungen. Unsere Expedition von 1970 fällt in die Phase des Eroberungsalpinismus'. Dabei ging es darum, den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, sich der 4.500 Meter hohen Wand zu stellen. Der Weg zum Gipfel war bedeutend. Eine geringe Ausstattung kennzeichnete das spätere Stadium des Verzichtsalpinismus. Bei der Nanga Parbat-Besteigung 1978 hatte ich nur 60 Kilogramm Gepäck, 1970 waren es neun Tonnen. 

siegburgaktuell: Wie bewerten Sie das heutige Bergsteigen im Himalaya, zum Beispiel die immer größere Zahl an Menschen auf dem Mount Everest?

Messner: Es gibt Entwicklungen, die sich sehr deutlich vom Geschilderten abheben. Mittlerweile bringen Helikopter Leute, die es sich leisten können, bis in die Wand. Von Sauerstoffdepot zu Sauerstoffdepot wird entlang einer Piste der Gipfel erreicht. Das hat mit dem Bergsteigen früherer Jahre nichts zu tun.

siegburgaktuell: Wie sehen Sie insgesamt den Tourismus in den Himalaya, die Müllproblematik. Ist es überhaupt noch zeitgemäß, nach Nepal oder Pakistan zu fliegen?  

Messner: Zuerst zum Müll. Ich sehe den Kampf gegen die Vermüllung eher als Aufgabe der großen Städte des Planeten. Und ja, wir müssen weiter mit Menschen anderer Kulturen und Volksgruppen in Kontakt kommen. Reisen bildet, schafft Empathie. Gucken Sie sich Trump an: Der kennt die Welt nicht, hat nur sich und sein Land im Blick. Insgesamt darf die zurecht geführte Diskussion um Klima- und Umweltschutz nicht dazu führen, dass wir die Lebenslust verlieren. Ich kenne einen schweizerischen Industriellen, der wollte unbedingt im Ruhestand die Antarktis sehen, wenigstens ihren Rand. Als er das entsprechende Alter erreicht und seinen Söhnen den Betrieb überschrieben hatte, ließ er plötzlich von seinem Lebenstraum ab und folgte der gesellschaftlichen Stimmung, die gegen die Reise stand. Das verstehe ich nicht, und es macht mich wütend. Schließlich hat er der Gesellschaft jahrzehntelang seinen Dienst erwiesen, viele Menschen beschäftigt, Familien ernährt. 

siegburgaktuell: Wie sehen Sie die Rolle der Klimaaktivisten? Die Formen des Protests werden radikaler. 

Messner: Aktionen wie das Festkleben der Hände auf den Hauptverkehrsstraßen bringen nichts außer Unverständnis und Unmut in der Bevölkerung und schaffen durch den entstehenden Stau noch mehr Kohlenstoffdioxidausstoß. Da wird insgesamt zu häufig aus einer Blase heraus argumentiert. Viele der Prostierenden, die anderen das Recht absprechen, zu fliegen oder mit dem Auto zu fahren, bestreiten nicht ihren eigenen Lebensunterhalt. Sicher, wir Älteren haben fossile Brennstoffe genutzt. Aber wir haben damit den Grundstein für den Wohlstand gelegt. Natürlich brauchen wir heute Antworten auf den Klimawandel. Ich plädiere seit Längerem für den Verzicht als Wert in unserem Leben.

siegburgaktuell: Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Vortrag von Reinhold Messner "Nanga Parbat - mein Schicksalsberg" am 5. Oktober 2022, 20 Uhr, im Rhein Sieg Forum, Bachstraße 1. Karten über den Link! 

Messner im Rhein Sieg Forum

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