vom 04.09.2022

Ein Abbild der Gesellschaft

Faszination und Fassungslosigkeit beim Frauenfußball-Abend

Siegburg. Mit dem Rüschenmantel, den ihr Vater ihr zum dritten Geburtstag schenkt, wird sie nicht warm. Lange Haare, Kniestrümpfe und Rock sind nicht ihr Ding. Der Weg aus den Geschlechterrollenvorstellungen führt Andrea Krieger in den 1970er-Jahren hinters elterliche Haus auf den Seelscheider Sportplatz. Hier spielt sie mit einem Jungen, der bald kein adäquater Sparringspartner mehr ist. Deshalb trainiert sie mit zehn Jahren (!) in der Damenmannschaft des TSV. Ein Mädchenteam existiert nicht, das Mitmachen in der Jungenmannschaft steht außerhalb der Möglichkeiten. "Wie hätte ich mich umziehen und duschen sollen?"

Das 286. Museumsgespräch am Donnerstagabend trägt ausnahmsweise nicht die Form eines Vortrags. Ein Interview bringt dem Publikum die Vita von Andrea Krieger näher: Als "Kreuzverhörer" betätigen sich die Kölner Polizistin Anke Glasmacher und Stadtarchivar Jan Gerull. Auf dem "heißen Stuhl" in der Mitte sitzt die antwortende Hauptperson, heute Streetworkerin in Siegburg, früher eine der besten Fußball-Torhüterinnen unseres Landes. 

Die Lebensgeschichte, die Krieger offenbart, gleicht einem Roman, den man zu lesen beginnt und erst dann weglegt, wenn die Turmuhr zweimal schlägt und die Augen zufallen. Es geht um Emanzipation in Stutzen und Stollenschuhen, um die Erbarmungslosigkeit des Leistungssports, um die sträfliche Vernachlässigung des Frauenfußballs durch den DFB, der es bis in die späten 1980er-Jahre nicht zustandebringt, eine richtige deutsche Auswahl zur Weltmeisterschaft zu schicken. 

1987 hütet Krieger das Tor des Top-Teams SSG Bergisch Gladbach, das Deutschland in Ermangelung einer Nationalmannschaft in Taiwan beim Weltturnier vertritt. Ein slapstickartiger Torwartfehler lässt die Titelträume zerplatzen. Gestenreich kann sie ihren Fehlgriff noch heute nachmachen. Was ihr daraufhin widerfährt ist klassischerweise das, wofür das Wort Mobbing erfunden wurde. Niemand aus der Mannschaft spricht mit ihr. Am anderen Ende der Welt ist die 22-Jährige mutterseelenallein.

Weil die Trainerin die psychische Aggression zulässt und im Anschluss nicht thematisiert, steigt Krieger aus, orientiert sich nach unten, um innerlich wieder nach oben zu kommen. Mit der Zweiten der SSG schafft sie den Sprung in die Verbandsliga, hält im Jahr danach die Klasse. "Da konnte ich als Spielertrainerin meine Vorstellung von Fairness und guter Atmosphäre durchsetzen."

Großartig ihre Schilderung des Unter-einen-Hut-Bringens von Sport auf höchstem Niveau und Beruf. Schon als sie 15 ist, will Bergisch Gladbach sie vom Dorfverein TSV Seelscheid loseisen. Zum Wechsel kommt es fünf Jahre später. "Erst stand die Ausbildung als Erzieherin an, ich musste ja Geld und einen Führerschein haben." 30 Pfennig Spritgeld, mehr bekommen die mehrfachen deutschen Meisterinnen aus Bergisch Gladbach nicht. Unglaublich.  

Übergang ins Hier und Jetzt. Wo beginnen wir, um mehr Mädchen für den Fußball zu begeistern? "Möglichst früh, schon in der Kita." Krieger berichtet, selbst fassungslos, von Kindergartenturnieren, bei denen die Jungen gegeneinander kicken, während die Mädchen ihnen und den Eltern als Cheerleader zujubeln. Und sie legt nach: "Ich denke, der Fußball ist durch seine Relevanz ein gutes Abbild der Gesellschaft. Wir müssen uns fragen, ob wir eine Gesellschaft mit diesen Strukturen akzeptieren."

FotoAndrea Krieger (Mitte) mit der Interviewerin Anke Glasmacher, die ebenfalls in Seelscheid Fußball spielte. Links Stadtarchivar Jan Gerull, der das Gespräch moderierte. 

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