vom 20.08.2022

Polarkreis statt Poller

Rathausmitarbeiterin ging für die Aktion Sühnezeichen ins Internat

Siegburg. "Aufstehen, Frühstück!" Elisabeth Hertel, die im Internat alle nur Elli nennen, ist früh auf den Beinen in diesem Winter 2020/2021. Sie klopft an Türen, blickt in müde Augen. Die ewige Dunkelheit ist nicht leicht zu verkraften. Falls sie selbst müde ist, lässt sie es sich nicht anmerken. Sie sprüht vor Energie: "Guten Morgen zusammen! Wer hat Lust auf eine Runde Langlauf?"

Ein Jahr raus, was ganz anderes sehen. Für ein einmaliges Lebenslerlebnis. Das wollen längst nicht nur Schulabgänger, die es zum Work and Travel nach Australien zieht. Bei den Älteren schafft das Sabbatjahr die manchmal gar nicht falsche Auszeit von Job und Alltag. Mit 52 Jahren, die Kinder aus dem Haus, wagte Kollegin Elli Hertel aus dem städtischen Mobilitätsmanagement für zehn Monate den Schritt in eine neue Welt abseits der Verkehrsplanung. Für die "Aktion Sühnezeichen Friedensdieste" reiste sie dorthin, wo garantiert kein Parkdruck herrscht: In die Nähe von Narvik, jenseits des Polarkreises.

An der Folkehøgskole Nord-Norge, dem vielleicht nördlichsten Internat der Welt, werden junge Erwachsene aus ganz Norwegen auf ein selbstbestimmtes Dasein vorbereitet. Es handelt sich um eine inklusive Einrichtung, die die Handicaps Epilepsie, Bipolare Störung, Trisomie 21 oder Adipositas unter einem Dach vereint. Diese etwa 20-Jährigen begleitete Hertel. In der Schule, in der Freizeit. Sie weckte, erinnerte an Hygiene und Pünktlichkeit, assistierte in der Schulbank, führte Ausflüge mit ihren Schützlingen durch.

"Ich habe in der Vorbereitung natürlich Norwegisch gelernt, sodass ich mich von Anfang an gut verständigen konnte. Am Ende war ich, glaube ich, richtig gut." Richtig gut ist das richtige Stichwort. Richtig gut ist die passionierte Radfahrerin in allem, was mit Bewegung zu tun hat.  "Wir sind Ski-Langlauf und Ski Alpin gefahren, haben lange Wandertouren durch die herrliche Natur unternommen, Basketball- und Fußballmatches ausgetragen."

Nützlich war ihre Affinität zum Brettspiel, mit der sie Langeweile an den langen Winterabenden erfolgreich besiegte. Sie brachte die Mitspieler dazu, sich zu ärgern. Freilich nur nach dem Rauswurf ihrer eigenen Figürchen ...

Wie ist das Land, wie sind die Leute? Die Gemeinde Evenskjer, zu der das Internat gehört, befindet sich 1.800 Kilometer (!) von Oslo entfernt. Die Bezeichnung abgelegen erscheint als maßlose Untertreibung. "Die Südnorweger haben ihre Vorbehalte gegenüber denen ganz im Norden. Sie sehen sie als rastlos Umherziehende an, die eher einfach gestrickt sind und einen unverständlichen Dialekt sprechen."

Eine eigene Kultur im Norden pflegt die Sami-Minderheit. Die Rentierreisenden, heute sind viele sesshaft, haben ihren eigenen Fernsehsender und ein grenzüberschreitendes Parlament.

Und dann ist da das spezielle Verhältnis Norwegens zu Deutschland. Anders als der Nachbar Schweden war Norwegen im Zweiten Weltkrieg besetzt. Der Umgang mit den Besatzungskindern, den "Tyskerbarn", ist ein eigenes, bis heute unverdautes gesellschaftliches Kapitel. Vorbehalte gegenüber den Deutschen dauern an. Zum Glück nehmen sie nach und nach ab. 

Vor diesem Hintergrund versteht sich das Engagement der "Aktion Sühnezeichen", für die Hertel arbeitete. "In der Kreisstadt Harstad habe ich Stolpersteine geputzt, und wir haben ein Video für Instagram gedreht. Das war am 8. Mai 2021, am Tag des Weltkriegsendes."

Mittlerweile ist Hertel längst wieder zurück im Büro. Poller auf dem Siegdamm statt Polarlichter am Internatsfenster. Die "Einfach mal raus"-Phase möchte sie nicht missen. "Norwegen investiert vorbildlich in Bildung und Inklusion, ist stolz auf das soziale Miteinander."

Foto: Hoch die Hände, Wochenende? Elli Hertel grüßt genau aus der Mitte der unter dem Schulschild für die Kamera Posierenden.

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