vom 29.06.2022

Wohin gehört der sprechende Stein aus dem Stadtmuseum?

"Ich wurde errichtet unter Clemens XIII..."

Siegburg. Beinahe unbemerkt liegt er da, der dicke Trumm im Stadtmuseum. Die benachbarten Exponate, das Uhrwerk von St. Servatius und das Stadtmodell von 1910, stehlen ihm die Show. Erst bei genauerem Hinsehen erzählt der Klotz, dessen Massivität auf einen früheren Einsatz als Türsturz hindeutet, seine Geschichte.

Der Stein spricht zu uns - in doppelter Hinsicht. Lateiner lesen die folgende Angabe: "Ich wurde errichtet unter Clemens XIII. und im Jubeljahr der heiligen römisch-katholischen Kirche." Clemens XIII. war Papst von 1758 bis 1769. Das haben Kirchenkenner im Kopf. Alle anderen nutzen die Suchmaschine oder ein Lexikon. Eine jahrgenaue Punktlandung legt derjenige hin, der die groß gemeißelten Buchstaben in Zahlen übersetzt und zusammenrechnet. 

In der ersten und zweiten Zeile ergibt sich durch Addition: 
I+V+I+I+C+C+L+M+D+I = 1759

Spielen wir das Spiel in der dritten und vierten Reihe erneut, bekommen wir dasselbe Ergebnis:
C+I+V+I+L+C+M+C+L+I+C+C+C+L+I = 1759

Chronogramme nennt man diese Rechenaufgaben, sie waren ein beliebtes Stilmittel, um der Nachwelt historische Daten kunstvoll zu erhalten. Woher stammt aber nun der Brocken, in welchem Gebäude wurde er 1759 verbaut? Dem Museum war die Provenienz lange unbekannt. Dann kam Geschichtslehrerin und Chronogramm-Fachfrau Dr. Imogen Dittmann-Schöne. Für ein 2019 gehaltenes Museumsgespräch wälzte sie eine Menge Literatur zum Thema Inschriften in und um Siegburg. Und siehe da: Im historischen Band zum 750-jährigen Jubiläum Seligenthals kommt unser sprechender Stein vor. Er gehört zu einem vorindustriellen Textilbetrieb.

Für Öl, für Korn, zur Stoffherstellung. In Seligenthal klapperten mehrere Mühlen am rauschenden Wahnbach. Den Eingang zur Walkmühle zierte der Stein, der heute im Stadtmuseum liegt. In der Reformationszeit wird die Walkmühle erstmals erwähnt. 1513 schenkt sie der Siegburger Rentmeister Vollmar Becker den Franziskanern, auf dass sie ihm zu Ehren regelmäßig Messen, Vigilien und Jahresgedächtnisse feiern mögen. 

Die Franziskaner, auch Minoriten - Minderbrüder - genannt, hatten das Tal der Seligen im Hochmittelalter urbar gemacht. Nun bewirtschaften sie die zur Textilherstellung nötige Großmaschine, verkehrsgünstig gelegen neben dem Wahnbachübergang des Fernwegs Köln-Frankfurt. In den Wirren und Kriegen des 17. Jahrhunderts, so hat es Heinrich Brodeßer für das oben erwähnte Seligenthaler Jubiläumsbuch festgehalten, verfällt die Walkmühle, ehe sie 1759 wiederaufersteht. Der Stein, platziert über der Eingangstür, legt Zeugnis davon ab. 

In der neuen Mühle brummt die Produktion von Habitstoffen. Man entwickelt sich zu einer Art Engelbert Strauß für franziskanische Berufskleidung.  Brodeßer zufolge betreiben die Mönche eine eigene Leinen- und Tuchweberei mit aus der Eifel gelieferter Wolle. Die Mühle wird zum nächsten Schritt nach dem Weben, dem Walken, genutzt. Die Stoffe presst und schlägt man aneinander, macht sie dadurch länger haltbar. Während des Prozesses kommen aus Kieselsäure und Ton bestehende Walkerde und Kardendisteln zum Einsatz, die man im großen Stil selbst anbaut. Die gesamte Ordensprovinz der Franziskaner bezieht Kutten aus Seligenthal.

Einschneidend wirkt sich die Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts aus. Schlagartig endet der Bedarf. Um 1860 nutzt ein Stahlschleifer die Anlage, später legt man Knochen in das schwere Mahlwerk. In den 1970er-Jahren schwingt der Landesstraßenbetrieb die Abrissbirne. Die letzten Gebäudeteile der einstigen Mühle sind dem Infrastrukturausbau im Wege. Bemühungen der alten Seligenthaler, den Identifikationsort zu erhalten, scheitern.   

Wer mehr lesen will, meldet sich beim Geschichtsverein unter gav@siegburg.de und erhält den Brodeßer-Aufsatz "Vallis felix, gesegnetes, glückliches, seliges Tal" in gescannter Form retour. 

Foto 2: Nicht weit vom Türsturz der Walkmühle erinnert der schreibende Mönch im Stadtmuseum an die klösterliche Tradition, die neben der kulturell-geistigen auch eine wirtschaftliche Seite hatte, wie die "Habit-Fabrik" in Seligenthal verdeutlicht. 

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53721 Siegburg

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