vom 16.01.2022

Laisser-faire - nur nicht beim Alkohol!

Akte aus dem Stadtarchiv dokumentiert Impf-Unwillen der Nazis

Siegburg. Die Geschichte des Impfens, der Impfpflicht, der Abwehr gegen dieselbe: Früher historische Nischenthemen, die kaum an die Öffentlichkeit drangen, heute brandheißer Diskussionsstoff. Medizinhistoriker wie Malte Thießen sind gefragte Gesprächspartner in Zeitungsinterviews und Talkshows. Dabei wird die Frage aufgeworfen: Geht eine allgemeine Impfpflicht einher mit totalitärem Staatsgebaren?

Im sogenannten Dritten Reich war es genau andersherum. Hier, das ist Konsens unter Medizinhistorikern, kam es im Vergleich zur Weimarer Republik und zum Kaiserreich zu einer Impf-Lockerung. Die ablehnende Haltung der Machthaber von 1933 bis 45 - die sich erst mit der Fleckfieberproblematik im Krieg ändert - ist ideologisch begründet. Die Schulmedizin wird als "jüdisch" angesehen und deshalb abgelehnt, die Naturheilkunde favorisiert.

Wie in der Diktatur geimpft wurde, dazu verwahrt das Siegburger Stadtarchiv eine hochinteressante Akte. Sie beschreibt das administrative Handling der Impfungen anhand der Vorgaben aus Berlin. Meist geht es um den Schutz der Kinder gegen die Pocken, abgedeckt sind die Jahre 1931 bis 1948. Die Akte lässt in verschiedene Richtungen tief blicken. 

Umgang mit Impfgegnern: Im Zuge der nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 erlassenen Verordnung zum Schutz von Volk und Staat werden auch die Impfgegner- und Impfzwangsgegner-Vereinigungen aufgelöst und verboten. Aber: Am 10. April 1934 wird per Erlass geregelt, dass die Vereine ihre Tätigkeiten wiederaufnehmen können. Sie erhalten das beschlagnahmte Vermögen zurück, gleichsam ihre Einrichtungen, Druckschriften, Lichtbilder. Was verboten bleibt, ist die öffentliche Propaganda gegen das Impfen sowie die Ausstellung ärztlicher Impfbefreiungszeugnisse ohne ärztliche Untersuchung.

Streit um Impfaktion in der Schützenburg: Am 18. Juni 1934 erscheint Anton Metzner auf dem Landratsamt. Der Wirt der Siegburger "Schützenburg" liegt im Clinch mit der Kreisverwaltung. Jahrelang, so argumentiert er, habe er für die Pockenimpfung seinen Saal zur Verfügung gestellt und immer 35 Reichsmark erhalten. Nun bot man ihm nur noch 20 Reichsmark, obwohl seine Unkosten wie das Ein- und Aussetzen der Saalwand und das Auskochen der Instrumente gleich geblieben seien.   

Ungeimpfte Schulkinder: Nach Paragraf 13 des Impfgesetzes müssen sich Schulleiter bei der Aufnahme von Kindern überzeugen, dass der Impflicht nachgekommen wurde. Bei ungeimpften Kindern habe man auf Nachholung zu drängen, bei fortwährender Weigerung der Eltern seien die entsprechenden Schülerinnen und Schüler "zu melden". Was aus der Meldung erwächst? Nicht überliefert. Fest steht nur: "Als notwendige Voraussetzung für die Aufnahme in die höhere Klasse kann die Impfung nach dem Impfgesetz nicht angesehen werden."

Impfjahr 1936 endet im Oktober: Am 19. Oktober 1936 meldet der Landrat der Stadt Siegburg: "Soweit die öffentlichen Impfungen in diesem Jahre im dortigen Bezirk noch nicht stattgefunden haben, fallen diese nach Anhörung des Amtsarztes aus. Die noch nicht geimpften Kinder sind in die nächste Liste zu übertragen." Einige Seiten weiter, das Schreiben datiert vom 11. März 1937 und ist wiederum vom Landrat an die Herren Bürgermeister seines Kreises gerichtet, steht schwarz auf weiß: "Die Führung der Impflisten lässt vielfach zu wünschen übrig. Die Aufstellung und Vorlage der Nachweisungen usw. erfolgen teilweise in unzulänglicher Weise und nach dem festgesetzten Termin. (…) Nach dem Hauptimpfbericht des Kreisarztes des Siegkreises für öffentliche Impfungen im Siegkreise im Jahre 1936 stand ein Wartezimmer nicht zur Verfügung. Sie sollten veranlassen, dass dies bei den diesjährigen Impfterminen der Fall ist."

"Impfung" gegen Alkohol: Größeren Eifer als beim Impfen legen die Nazis bei der Aufklärung schädlicher Folgen des Alkohols an den Tag. Der Tag der Impfung wird als günstige Möglichkeit gesehen, Müttern einen signalfarbenen Warnhinweis (Foto) an die Hand zu geben. Unter der Überschrift "Eine Pflicht für die Erbgesundheit" wird dringend abgeraten, dem Nachwuchs Bier, Wein oder Beerenwein, Branntwein, Likör oder gegorenen Most zu verabreichen. "Kein Tropfen" ist die Devise. Stattdessen geeignet: Milch, Kakao, Schokolade, Malzkaffee, Süßmost, Obst, frisches Wasser und gutes Mineralwasser. 

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Nogenter Platz 10
53721 Siegburg

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