vom 08.10.2021

In Herchen ist was im Busch

An der Thingstätte planten Nazis ideologisches Theater

Siegburg. Mittwoch, 10.30 Uhr, Ortsmitte Windeck-Herchen. Ein Reisebus hält, entlässt 30 Schirmträger in den Dauerregen. Suchend blickt sich die Gruppe um: Wo ist der Pfad zur Thingstätte? Die Bevölkerung gibt sich verblüfft bis zugeknöpft. "Thingstätte? Nie gehört." Ein Kriegerdenkmal am Ende einer Lichtung am Hang, wirklich nie gehört oder gesehen? "Doch, na klar. Da rein, durch die Büsche, dann sind sie in zwei Minuten da."

Einen 'Lost Place', einen verlassenen Platz, hatte sich der Siegburger Geschichtsverein als Exkursionsziel auserkoren. Die Thingstätte unter Eichen und Ahorn ist ein Relikt der Nazizeit. Seit Jahrzehnten gestaltet sich der Umgang kompliziert. Mal ließ man sie zuwachsen, mal kümmerte man sich um die Pflege - der Pflege des Grüns und der Geschichte. 

Schüler führten vor knapp zehn Jahren eine Reinigungsperformance zum Austreiben der bösen Geister durch. Das mediale Echo war beachtlich. Die Message kam nicht bei jedem an. Bisweilen muss der Bonner Staatsschutz in den äußersten Osten des Rhein-Sieg-Kreises ausrücken, weil Unverbesserliche mit kahlgeschorenem Haupt nach historischen Anknüpfungspunkten stochern. Stammgäste sind die Glatzen nicht. Teenager aus dem Dorf kommen rauf, um Erfahrungen mit Hochprozentigem zu sammeln. Siegsteig-Wanderer halten vor der Tafel, die das Werden der Waldbühne erläutern.

Die Initiative für den Bau im Bergischen stammte von Robert Ley, ganz in der Nähe aufgewachsener Hauptorganisator der braunen Truppe und in der Regimerangliste auf Position fünf oder sechs. Das "Thingstätte"-Konzept ersann Chefpropagandist Goebbels. Er verfolgte zwei Ziele. Erstens: das verherrlichende Gedenken an die toten Soldaten des Ersten Weltkrieges. Die Stilisierung des kaiserlichen Kanonenfutters zu Helden sollte die Opferbereitschaft für einen neuen Krieg erhöhen. Zweitens: theatralische Darbietungen zur Festigung der Ideologie. Mimen und Zuschauer, so die Idee, vereinigen sich ekstatisch zu einem großen Ganzen. Herchen blieb zwar nicht von Parteiveranstaltungen jeglicher Art, aber von solch schauerlichen Aufführungen verschont. Überhaupt kam die Thingentwicklung schnell zum Erliegen. Von 400 geplanten Stätten im Reich wurde nur ein Bruchteil fertig. Die Gründe waren vielfältig. Film, Radio und die Massenaufmärsche bei den Reichsparteitagen boten effizientere Möglichkeiten der Beeinflussung. Zudem stockte die Produktion der Stücke. Es gab schlicht zu wenige "Dramatiker" für die hochfliegenden Pläne.     

Im zweiten Teil des Ausflugs ging es zum Buddhistischen Zentrum Waldbröl - auch eine frühere Nazihochburg. Mehr dazu morgen!

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