vom 14.05.2021

Wie Demokratien untergehen

Vor 1933: Nationalsozialisten von Siegburger Bürgermeister sträflich unterschätzt

Siegburg. Zwischen November 1928 und November 1932, der Spätphase der Weimarer Republik, ziehen die Nationalsozialisten mit wilder Untergangsrhetorik ("Unsere letzte Chance - Hitler") durch die Lande, hetzten gehen Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten, buhlen um Wählerstimmen, werben neue Mitglieder.

In Siegburg, wie in großen Teilen des Rheinlands, agieren sie aus einer Außenseiterposition. Die katholische Bevölkerung hält größtenteils zur Zentrumspartei. Gerade deshalb sind die Bemühungen der Braunhemden groß: Die von Blasmusik, Trommelgetöse und Fahnenspalier begleiteten Rednerveranstaltungen ziehen immer mehr Menschen in den Bann. Robert Ley, der NS-Cheforganisator im Köln-Aachener Raum, ist mehrfach da. Göring spricht am 2. November 1932 vor 1.500 bis 2.000 Menschen auf dem Markt. Nicht alles Anhänger der Bewegung, sondern auch vom politischen Gegner entsandte Beobachter - oder schlicht jene, die sich von der düsteren Show locken lassen.

Julius Streicher, Herausgeber des Kampfblatts "Der Stürmer", kritisiert das Waffenverbot im Saal des "Herrengarten" an der Mühlenstraße und bedauert, seine Reitpeitsche im Hotelzimmer habe lassen zu müssen. Die Anordnung hindere ihn, "seinen Mann zu stehen", putscht er die 500 Zuhörer gegen die Ortspolizei auf, ehe er seine antisemitischen Tiraden startet. Hitler selbst tritt nicht in Siegburg auf, aber dennoch in Erscheinung. Am 31. Oktober 1932 hält sein Wagen auf dem Weg nach Gummersbach auf der Wahnbachtalstraße. Am Bootshaus begrüßt er seine hiesigen Gefolgsleute.

Im Aufsatz "Die nationalsozialistische Versammlungstätigkeit im Siegkreis vor 1933", erschienen 2009 in den Heimatblättern, beschreibt Autor Johann Paul anschaulich, wie Robert Becker (Zentrum), der als Bürgermeister zudem Chef der Ortspolizei ist, das Treiben der NS-Agitatoren sträflich unterschätzt und es unterlässt, die Republik und damit auch die Demokratie zu schützen. Als die Staatsanwaltschaft Bonn nach einem Auftritt Robert Leys Ende 1930 in Siegburg ein Strafverfahren wegen Verletzung des Republikschutzgesetzes einleitet, wird Becker um Stellungnahme gebeten. Es geht um die vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise am Rande der Ley-Rede verteilten Flugblätter mit dem Wortlaut "Volk, wehre dich, leiste Widerstand, mache dich wehrfähig; nimm in die eine Hand den Hammer, in die andere das Gewehr. Baue alle jene ab, die diese Verelendungspolitik bis auf den heutigen Tag betrieben haben, dann wird dir dein Lebensrecht und deine Freiheit gewiß sein. Zuerst Arbeit und Brot für dich und dein Volk!"

Der Staatsanwaltschaft erklärt Becker - dies ist ein wiederkehrendes Muster der Argumentation des Zentrums -, im Gegensatz zu den Kommunisten habe Dr. Ley stets betont, seine Ziele auf legalem Wege über das Parlament erreichen zu wollen. Dem Landrat will Becker weißmachen, die Forderungen auf dem Flugblatt richteten sich nicht direkt gegen die Träger des Staates, sondern gegen deren "Erfüllungspolitik". In den Akten des Landratsamts ist diese Eingabe Beckers mit einem Fragezeichen versehen. Der Landrat wird deutlich: Er schreibt zurück, Beckers Antwort sei ungenügend, eine Pflichtverletzung der Ortspolizei nicht auszuschließen. Sie hätte verhindern müssen, dass ein derartiges Flugblatt angeschlagen und eine solche Versammlung überhaupt abgehalten wird. Nach der Korrespondenz verläuft die Angelegenheit im Sande.

Becker selbst muss im Frühjahr 1933 seinen Posten räumen. Wilhelm Ley, der Siegburger NS-Ortsgruppenführer, übernimmt die Verwaltungsspitze. Zuvor hatte der Zentrumsmann hilflos mitansehen müssen, wie die von ihm Kleingeredeten als sichtbares Zeichen ihrer Macht am Rathaus das Hakenkreuz hissen.

Foto: Nazi-Trauerfeier für den im Kampf um das Siegburger Volkshaus im Februar 1933 erschossenen Franz Müller. 

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