vom 05.05.2021

Fantast oder Genie?

Erfinder des "kraftstofflosen Motors" saß im Siegburger Gefängnis ein

Siegburg. War Johannes Wardenier (1912-1960) ein fantastisches Genie oder ein genialer Fantast? An der Frage beißen sich Heerscharen von niederländischen Journalisten und Historikern die Zähne aus. Fest steht das Folgende: Der mythenumrakte Tüftler, der bis heute Anlass zu wüsten Spekulationen gibt, saß im Zweiten Weltkrieg im Siegburger Gefängnis ein. 

Wir beginnen im November 1934. Im friesischen Wolvega, gelegen bei Heerenveen, laden der Bürgermeister und weitere lokale Autoritäen zur Pressekonferenz. Sie erhält landesweite Aufmerksamkeit. Johannes Wardenier, ein autodidaktischer, noch sehr junger Bastler aus dem Ort, gibt auf großer Bühne bekannt, dank seiner Entwicklung sei das Zeitalter der Öl-Abhängigkeit ein für allemal vorbei. Sein Motor laufe bis zu drei Monate ohne einen Tropfen Sprit, quasi kraftstofflos. Die Heimat, so geben die beistehenden Honoratioren stolz bekannt, komme in naher Zukunft in den Genuss einer Fabrik für diese Weltneuheit.

Eine Woche nach der Ankündigung verschwindet Wardenier vorübergehend von der Bildfläche. "Zu seinem eigenen Schutz", wie es heißt, wird er in ein Groninger Spital eingewiesen, soll dort seine Nerven beruhigen. Das Ende ist vorhersehbar: Das Wunderwerk wird nie gebaut. Der Vater der Maschine wird lebenslang behaupten, seine Pläne seien gestohlen worden, finstere Mächte hätten die Finger im Spiel. Ist er an Shell zerschellt? Bis heute diskutieren sich User in Internetforen in Rage.

Als die Deutschen 1940 die Niederlande besetzen, tritt Wardenier dem Naziableger NSB bei, ist später unter dem Namen Jan de Winter in der Organisation NSKK, dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, aktiv. Mindestens bis 1943, dann wird er wegen Krankheit entlassen. Paul Schilperoord, der an einem Buch über Wardenier arbeitet, erklärt: "Als er das NSKK-Büro am Einsatzort Brüssel verließ, stahl er elf Berechtigungsscheine, zehn Kriegsurlaubsscheine, drei Marschbefehle und zwei Stempel. Die benutzte er, um Papiere zu fälschen und Tabak zwischen Brüssel und Holland zu schmuggeln."

Auf einer seiner Touren, man schreibt den 13. August 1943, wird er auf dem Bahnhof Nimwegen erwischt und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe muss er im Siegburger Zuchthaus absitzen, wo er auf politische Gefangene aus ganz Europa trifft. Am 14. Dezember 1943 kommt er in Siegburg an. „Es gibt nicht viele Zeugnisse dieser Zeit. Er erwähnte immer, dass es ihm sehr schlecht ging und er teilweise lieber gestorben wäre als weiterzuleben", so Schilperoord.

Am 12. April 1944 soll er entlassen werden, doch vier Tage vor der Rückkehr in die Freiheit diagnostiziert Gefängnisarzt Dr. Moritz Hohn eine offene, eitrige Fistel am Rücken, schickt ihn ins hauseigene Lazarett, wo ihm der Landsmann und Mitgefangene F.B. Heberlein mit bescheidenen Mitteln zu helfen versucht. Schließlich liefert man Johannes Wardenier alias Jan de Winter ins Krankenhaus an der Ringstraße ein. Mitte Juni ist er transportfähig. Das niederländische Rote Kreuz bringt ihn zurück nach Holland. Rätselhaft: Das Unternehmen Philips aus Eindhoven schickt ein Begleitfahrzeug für den Transfer des Maladen. 

Wardenier kämpft im Anschluss mit diversen Gebrechen, die Nachwehen einer Tuberkuloseerkrankung fesseln ihn häufig ans Bett. Er schluckt Unmengen an Medizin, stirbt am 27. Juli 1960 an Leberversagen. 

Forscher Schilperoord wandte sich unlängst ans Siegburger Stadtarchiv, um mehr über das Gefängnis in den Jahren 1943/44 zu erfahren. Er fasst zusammen: "Nach dem Krieg war Wardenier sehr daran gelegen, sein Engagement für die Nazis und das NSKK zu verschleiern. Er erfand eine Alternativgeschichte im belgischen Widerstand. Sein Leben ist auch abseits der angeblichen Entwicklung des kraftstofflosen Motors von Unwahrheiten durchzogen und der Grund für diverse Verschwörungstheorien. Er war ein zwanghafter Lügner mit faszinierender Vita. All dies wird in meinem Buch nachzulesen sein."

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