vom 26.08.2020

Verschwiegene Katastrophe

Am 6. Mai 1915 sterben 18 Arbeiter - Zeitung darf nicht berichten

Siegburg. Mit Geschossfabrik und Feuerwerkslaboratorium, den Königliche Werken, ist die Kreisstadt im Ersten Weltkrieg ein Zentrum der Rüstungsindustrie. Ein sensibler Produktionszweig, der schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn, am 18. September 1914, unter Schutz gestellt wird. Zunächst kümmert sich das erste, dann das zweite Landsturm-Infanterie-Bataillon um die Bewachung der beiden Fabriken.

Undercover sind außerdem Kriminalbeamte im Einsatz, um Saboteure, "vom Feinde eingekaufte Agenten", wie es in einem Erlass des preußischen Ministers des Innern heißt, zu überführen. Die Arbeiter werden selbst außerhalb der Sphäre ihres Broterwerbs observiert, man schnüffelt ihnen nach. Aus dem "Geheim-Tagebuch" von Bürgermeister Plum geht hervor, dass Kriminalschutzmann Wegener aus Köln die Aufsicht über die Kripobeamten führt.

Am 13. Mai 1915 schickt Wegener den Bericht über ein folgenschweres Unglück an den Freiherrn von Dalwigk, seines Zeichens Landrat des Siegkreises: "Am 6. d. Mts, um 3 Uhr nachmittags, hat im Kgl. Feuerwerks-Laboratorium eine Explosion in einem Eisenbahnwaggon, in welchem Zünder verladen wurden, stattgefunden. Durch den durch die Explosion entstandenen Luftdruck ist ein Teil der Seitenwände des Materialien- und Fabrikatengebäudes eingedrückt worden. Ferner ist der Eisenbahnwaggon, in welchem die Zünder verladen wurden, vollständig und zwei weitere in der Nähe befindliche Eisenbahnwaggons erheblich beschädigt worden. Auch an den in der Nähe des Explosionsherdes gelegenen Fabrikgebäuden und Lagerschuppen sind größere Beschädigungen entstanden. Der Materialschaden wird auf 40.000 M geschätzt. Bei der Explosion sind 18 Personen getötet worden; einige davon sind erst an den erlittenen Verletzungen gestorben. Außerdem haben etwa 50 bis 65 Personen Verletzungen davongetragen."

Weiter unten fährt Wegener fort, wahrscheinlich habe ein Versehen den Unfall ausgelöst. Abschließend zu klären sei die Ursache nicht mehr, da die unmittelbar Beteiligten, zum großen Teil waren sie erst 17 bis 19 Jahre alt, allesamt nicht mehr unter den Lebenden weilten. 

Was erschreckt: Schäden an Fabrikinventar und Infrastruktur sind wichtiger als Menschenleben. Jedenfalls legt dies die von Wegener gewählte Reihenfolge der Darstellung nahe. 

Aus Gründen der Geheimhaltung verliert das Siegburger Kreisblatt am Tag nach der gewaltigen Detonation keine Zeile über den weithin hörbaren Vorfall und die Opfer. Die Zensur schiebt den Riegel vor. Der Leser muss sich mit einer Meldung vom Siegburger Viehmarkt und 42 Kälbern, die den Besitzer wechseln, zufrieden geben. Erst eine knappe Woche später, am 12. Mai 1915, wird obige Traueranzeige (Foto) abgedruckt. Die "treue Pflichterfüllung", die den Männern posthum attestiert wird, ist ihren Familien nur ein schwacher Trost. 

Am Tag, an dem die Traueranzeige das Leid einer ganzen Stadt widerspiegelt, zeigt die Obrigkeit, worauf es ihr ankommt in diesen Kriegstagen - Kontrolle. "Unverzüglich, spätestens aber binnen zwölf Stunden müssen sich In- und Ausländer, sie sich dauernd oder nur vorübergehend in Siegburg aufhalten, bei der Ortspolizeibehörde melden." So steht es auf Seite eins des Siegburger Kreisblatts. 

Wer mehr wissen möchte: Hans Warnings "Siegburg und die Geschichte der Königlichen Werke" kann im Stadtarchiv eingesehen werden. Kontakt unter stadtarchiv@siegburg.de.

Todesanzeige für zwölf Opfer einer Explosion in der Geschossfabrik

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