vom 17.06.2020

Erzählt unsere Geschichte

Zwangsarbeiter-Schicksal dem Vergessen entrissen

Siegburg. Der Regen prasselt wild auf die Kapelle. Die Kreuze mit den kurzen Armen nehmen das Wasser auf, verfärben sich dunkel. Demutsvoll neigen die Birken ihr Blätterkleid vor 2.000 Toten des Zweiten Weltkriegs.

Geschützt unter einem Vordach harren 50 Siegburger aus, vornehmlich sind es Bewohner aus dem Stadtteil Kaldauen. Sie sind an diesem Dienstagnachmittag zur Kriegsgräberstätte nach Ittenbach aufgebrochen, um an ein schreckliches Ereignis zu erinnern. 

Am 23. März 1945 treffen amerikanische Granaten auf der Kaldauer Hauptstraße eine Gruppe von Zwangsarbeitern, die von bewaffneten Deutschen Richtung Neunkirchen und Much getrieben wird. Die herannahende Weltmacht USA hat sich getäuscht und glaubt, es mit einer Einheit von Wehrmachtssoldaten zu tun zu haben. 19 Menschen sterben. Nur zwei, die Italiener Amadeo Lonzi und Antonio Fassina, sind uns durch die Heimatforschung Ulrich Tondars namentlich bekannt. Die Übrigen - vielleicht ein Goran, vielleicht eine Anna, vielleicht ein Francois? - sterben bei diesem fürchterlichen Missverständnis. Auf eine schnelle Bestattung am Ortsrand folgen zwei Umbettungen. In Ittenbach finden die Kriegsopfer 1949 ihre letzte Ruhe.

Erstmals wird ihrer nun an den Gräbern in in würdigem Rahmen gedacht.  Zwei Streicher, Justyna Slawa  und Rostik Kozhevnikov, untermalen die vom Ökumenischen Gesprächskreis Kaldauen angestoßene Erinnerung mit Werken von Bach. Sie spielen als Verbindung in die wahrscheinliche Heimat der getöteten Industrie- und Landwirtschaftssklaven Volkslieder aus der Walachei, der Slowakei und Ruthenien. Für Musikerin Sliwa ist es eine doppelte Herausforderung. Die hohe Luftfeuchtigkeit greift ihre Bratsche an, macht eine der vier Saiten unbrauchbar, zwingt sie zur Improvisation. In ihrem Kopf wechseln die Noten der Stücke mit Bildern ihres polnischen Großvaters. Er war einst ebenfalls von den Deutschen zur Fronarbeit verschleppt worden. 

Für den literarischen Teil der Zeremonie ist Michael Schwinge verantwortlich. Der Diplomtheologe leitet das Unternehmen Kulturnatour, welches Reisen zu historisch bedeutsamen Plätzen anbietet. So ging es 2018, hundert Jahre nach dem Ende des Gemetzels, auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. Schwinge hat einen Text zum Thema Zwangsarbeit verfasst, der sich mit der abgrundtiefen Angst des Menschen beschäftigt, als "Niemand" fern der Heimat zu sterben. In Schwinges Zeilen richten die Geknechteten einen flehentlichen Appell an die Nachwelt: "Bitte erzählt unsere Geschichte!"

Ulrich Tondar hat genau dies gemacht. Er besuchte mit Anno-Gymnasiasten die Kaldauer Hauptstraße, wo das Unglück seinen Lauf nahm. Der Kenner der Kaldauer Historie klingelte bei diesem Ortstermin eine Nachbarin heraus, die am 23. März 1945 dabei war, als die Toten geborgen und die Verwundeten versorgt wurden. Den Jugendlichen ging diese Geschichtsstunde nahe. Sie schufen mit Schulpfarrerin Annette Hirzel die auf unserem Bild zu sehende Skulptur. Zwei große, sich öffnende Hände halten, ganz vorsichtig, das wichtigste, das der Mensch besitzt: das Herz.

Kunstwerk eines farbigen Herzes in einer steinernen Hand, im Hintergrund Soldatengräber

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