Alles in Butter also bei Maximilian Jacobi (1775-1858), dem Begründer der modernen Psychiatrie, dessen Wirken in der Siegburger Irrenheilanstalt auf dem Michaelsberg Widerhall in der gesamten Fachwelt erfährt? Nicht ganz. Dass Leben selten ausschließlich gerade verlaufen und hinter der Fassade des feingeistigen Akademikers und Avantgardisten ein Mann steckte, der erst mit 50 in Siegburg zu seiner Berufung fand, erklärte Franz-Josef Wiegelmann auf den Tag genau 250 Jahre nach Jacobis Geburt während des Museumsgesprächs am 10. April (Foto).
Die Behinderung: Jacobi hört schwer. In großer Runde ist er zurückhaltend, wirkt schon in jungen Jahren betulich. Die äußeren Regungen mögen fehlen, sein Geist ist hellwach. Dichterfürst Goethe, ein Freund von Jacobi sen., erkennt die Hochbegabung, beschafft ihm den Studienplatz in Medizin.
Die Finanzen: Trotz Promotion in Erfurt, trotz Auslandserfahrung in London - Jacobi und seine Familie plagen monetäre Sorgen an allen Einsatzstätten, in Vaals bei Aachen, in Eutin bei Lübeck, als Obermedizinalrat der bayrischen Regierung in München oder als Oberarzt in einem Salzburger Spital. Überliefert ist, dass er Thukydides ins Deutsche übersetzt und Zimmer vermietet, um an Geld zu kommen.
Die Weltgeschichte: Sein berufliches Fußfassen deckt sich mit den Revolutionskriegen. In Bayern fremdelt der Protestant mit dem Katholizismus und der Franzosen-Freundlichkeit. Als das Rheinland im Wiener Kongress den Hohenzollern zugeschlagen wird, ist er zurück in Düsseldorf, steigt in die Verwaltung ein und sieht, dass auch bei den Preußen nicht alles Gold ist, was glänzt. Immer wieder wird er ums liebe Geld für sein Siegburger Lebenswerk kämpfen müssen. Zu stark ist das eingebrannte Bild in den Köpfen der Entscheider, den "armen Irren" reiche Wasser und Brot. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kerkert man sie noch in Verschlägen oder vergitterten Ausbuchten von Stadtmauern ein.
Die Heilanstalt: Zweimal begibt er sich auf ausgedehnte Wanderschaft, sieht sich Prototypen von psychiatrischen Kliniken an: vom Rhein bis ins Erzgebirge, von Hamburg nach Würzburg, alles zu Fuß. Eine lebensbedrohliche Krankheit im Winter 1823/24 verhindert fast die Öffnung des Siegburger Leuchtturms auf dem Michaelsberg, in der durch die Säkularisation freigewordenen Abtei. Jacobi überlebt und beginnt am 1. Januar 1825 planmäßig mit der Arbeit. Systematisch geht er die Sache an, orientiert sich an einem selbst aufgestellten Katalog mit 83 Fragen zur Krankengeschichte, die die nahen Angehörigen, die ihre betroffenen Verwandten zur Aufnahme begleiten, beantworten müssen.
Die Therapie: Jacobi lässt die Eingelieferten arbeiten. Er etabliert eine Seilerei und eine Schreinerei. Der vormals kahle Berg blüht unter den Pflanzungen der Patienten auf. Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter der Bäderkuren. In der Krypta der Abteikirche taucht er die ihm Anvertrauten ins Eiswasser. Einen Bauern, der sich in regelmäßigen Abständen tobsüchtig mit Kot beschmiert, kann er helfen, weil er beim Fixieren des Mannes entdeckt, was das Verhalten auslöst. Als Kind hatte man ihn im Stall gefesselt, eine Laterne knapp über seinem Kopf angezündet. Er litt stundenlange Todesqualen, weil er dachte, das offene Feuer greife auf das umliegende Stroh über und lasse ihn lebendig verbrennen.
Die Siegburger Delle: Darunter versteht man die Einkerbung auf dem Kopf, die viele der insgesamt 10.000 Behandelten mit nach Hause nehmen. Die vom Personal beigefügte Verletzung wird als Beispiel für die zutiefst inhumane Menschenversuchsmedizin vor 200 Jahren angeführt. Referent Wiegelmann ordnet ein: "Die auf dem Kopf verteilte Quecksilbersalbe, die sich durch den Schädel fraß, gehörte zu einer Schocktherapie. Natürlich arbeitet man heute anders. Wir sollten uns allerdings mit Urteilen über Heilversuche, die komplett ohne Psychopharmaka auskommen mussten, tunlichst zurückhalten."