Stadtgeschichte
Wir stellen vor: Siegburg, die 954 Jahre alte und zugleich moderne Kreisstadt an der Sieg. Unser Porträt beginnt im Herzen der Stadt, auf dem Marktplatz.
Wir stellen vor: Siegburg, die 954 Jahre alte und zugleich moderne Kreisstadt an der Sieg. Unser Porträt beginnt im Herzen der Stadt, auf dem Marktplatz.
Hier spielt in den Sommermonaten nicht nur im übertragenen Sinn die Musik. Konzerte und Feste locken, bei gutem Wetter sind die nach draußen gerückten Tische und Stühle der Cafés und Restaurants gut gefüllt, verleihendem zentralen Platz einen mediterranen Charakter. Autos? Zum Glück Fehlanzeige. Das war nicht immer so.
In den frühen 1970er Jahren drohte dem Markt der Infarkt. Unzählige Autos, Mopeds und Lastkraftwagen knatterten vorüber. 1975 gelang die Verkehrswende. Nach einer autofreien Probephase wurde der Markt zur Fußgängerzone. Die Abkehr vom Prinzip der motorisierten Innenstadt legte den Grundstein für das atmosphärisch stimmige Siegburg, das mit seinen Geschäften und seiner einladenden Gastronomie zum Einkaufsbummel verführt.
Für die Stadtentwicklung ist der Markt von überragender Bedeutung. Seit 1069 darf Markt gehalten werden am Fuße des Michaelsbergs. Die Händler desgrünen Wochenmarkts führen also eine Tradition fort, die beinahe so alt ist wie die Stadt selbst.
Der Töpfermarkt, der Anfang Juli Kunsthandwerker aus Deutschland und dem benachbarten Ausland nach Siegburgzieht, wurzelt ebenso tief in der Stadtgeschichte. Der Exportschlager Keramik machte Siegburg im Hochmittelalter überregional bekannt.
Die vor der Stadtmauer im Gebiet der heutigen Aulgasse arbeitenden Töpferprofitierten von dreierlei: Von der hervorragenden Qualität ihres Rohstoffs am Standort, von ihrer Kunstfertigkeit und seit 1285 vom Kölner Stadtrecht, das ihnen den Zugang zum Handelsnetz der Hanse verschaffte. Per Schiff ging die Ware übers Meer, weshalb Siegburger Krüge archäologisch im gesamten Hanseraum bis Nowgorod nachzuweisen sind.
Zwischen Siegburg und Köln gab es einen regen Austausch an Waren und Menschen. Die Siegburger Töpfer ließen sich von den Motiven der Kölner Formenstecher, der Gold- und Kupferschmiede inspirieren, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ließen sich Kölner Töpfer in Siegburg nieder und brachten neue Ideen mit. Eine solche Migration des Wissens ist wenige Jahrzehnte später erneut festzustellen. Viele Mitglieder der Siegburger Zunft wanderten in den Westerwald ab.
Am oberen Markt grüßt aus luftiger Höhe die Siegesgöttin Victoria, erbaut in Erinnerung an die Kriege 1866 und1870/71. Im Volksmund ist aus dem "Kriegerdenkmal", auf dem sie thront, längst das "Denkmal" geworden. Jahrzehnte des Friedens und der europäischen Verständigung schlagen sich in verändertem Sprachgebrauch nieder.
Keine Besichtigung der romanischen Kirche St. Servatius, leicht vom Marktzurückgesetzt am Kirchplatz gelegen, sollte ohne den Besuch der Schatzkammer auskommen. Stadtgründer Anno legte bereits den Kirchenschatz-Grundstock durch die Schenkung bedeutender Reliquien. Hell leuchten uns die Schreine und Tragaltäre entgegen, große Könner haben sie im Mittelalter hergestellt. Nikolaus von Verdun, der den Dreikönigsschrein fertigte, war auch der Schöpfer des Siegburger Anno-Schreins.
1.000 Jahre alt ist das in der Schatzkammer ausgestellte Löwentuch. Es stammt aus dem Umfeld der Kaiserin Theophanu, hergestellt wurde es wahrscheinlich in Byzanz. Theophanu wurde in Köln beigesetzt, das Tuch gelangte am Rhein in kirchlichen Besitz. Zu seiner Heiligsprechung wurden die Gebeine Annos darin eingewickelt.
Weiter geht unser Rundgang, wir betreten am unteren Markt ein markantes Bauwerk im klassizistischen Stil. Einst Lateinschule und Gymnasium, gibt das weiß-strahlende Haus seit 1990 dem Stadtmuseum eine dauerhafte Heimat. Das Museum zeigt Exponate zur Stadtgeschichte, etwa einen Mammutzahn aus der Urzeit, russische Zinnsoldaten -Truppen des Zaren vertrieben die Franzosen 1813 aus der Stadt - und das alte Büdchen vom Markt, in den Nachkriegsjahrzehnten nach 1945 der Siegburger Kommunikationsknoten par excellence.
In eben diese Ära nach dem letzten Weltkrieg gehört das Lottchen. Charlotte "Lottchen" Bertram lebte zwischen 1912 und 1971 und war ein klein-wüchsiger Zwitter, der als Altwarenhändler, Postlieferant, Karnevalsjeck und Maskottchen des SV Siegburg 04 seinen festen Platz im Stadtbild hatte. Tag und Nacht wacht das Lottchen in Formeiner Puppe über das Museumsforum. Wenn Lesungen und Konzerte angesetzt sind, hört das Lottchen im Kreise der Besucher stoisch zu.
Das Stadtmuseum ist auch Galerie: Lichtdurchflutet die Räume für Wechselausstellungen, in denen schon Werke von Harald Naegeli, Markus Lüpertz oder zuletzt Heinz Mack präsentiert wurden. Im 950. Jubiläumsjahr zeigte das Museums Arbeiten von einem Künstler, der eigentlich in anderen Gefilden Lorbeeren einsammelt. Armin Mueller-Stahls Zeichnungen und Malereien setzten sich mit Goethes Faust auseinander.
In den Mauern wurde zwei Siegburger VIPs geboren: der Kirchenliedkomponist Franz Joseph Mohr ("Ein Haus voll Glorie schauet") im Jahre 1834 und ein weitere Tondichter, der für seine Märchenoper "Hänsel und Gretel" weltbekannte Engelbert Humperdinck im Jahr 1854.
An den Wänden der Museumsaula sind weitere Heroen verewigt, die in Siegburg das Licht der Welt erblickten. Darunter zwei Männer, die im Ausland zu Ruhm und Ehre kamen. Da wäre zum einen Johann Lair, der die Universitätsdruckerei Cambridge gründete. Zum anderen der Künstler Charles Wimar, der Mitte des 19. Jahrhunderts den Mississippi von St. Louis stromaufwärts bereiste und eindrucksvolle Porträts der amerikanischen Ureinwohner anfertigte. 2017 ersteigerten Liebhaber eine Wildwestszene Wimars in München für300.000 Euro.
Verlassen wir den Markt über die Griesgasse und laufen auf die Zeughausstraße zu. Das Gebäude, das der Straße den Namen gibt, spielte im 19. Jahrhundert eine Rolle in der deutschen Geschichte. Hinter den dicken Quadern aus Wolsdorfer Brocken - so heißt der Stein, aus dem das alte Siegburg gebaut ist - lagerten die Preußen Waffen und Munition zur Bewaffnung der Landwehr.
1849 versuchten Freischärler um Carl Schurz und Gottfried Kinkel von Bonn aus die Waffenkammer zu stürmen. Auf halbem Wege, an die Sieg waren sie noch nicht gekommen, wurden sie gestoppt und auseinandergetrieben. Das Zeughaus sahen Schurz und Kinkel nie, trotzdem werden ihre Namen in der Überlieferung der Ereignisse stets mit Siegburg in Verbindung gebracht. Ironie der Geschichte: Noch einmalwurde ein Zug aus Bonn für das Siegburger Zeughaus wichtig. Als nämlich die Bundesregierung in den 1990er Jahren vom Rhein an die Spree wechselte, da nutzte Siegburg Ausgleichmittel für die "verlassene" Region, um das Zeughaus in die Engelbert-Humperdinck-Musikwerkstatt zu verwandeln, in der Humperdinckforschung betrieben wird und Konzertreihen über die Bühne gehen. Ein modernes Tonstudio ermöglicht professionelle Aufnahmen.
Durch den Bürgerpark mit Seerosenteich an der historischen Stadtmauer gehend, stoßen wir auf das S-Carré, einen architektonisch ansprechenden Büro- und Geschäftskomplex. Das S-Carré, gebaut von der Kreissparkasse, gehörte zu den prestigeträchtigen städtebaulichen Maßnahmen zu Beginn des neuen Jahrtausends. Gläsern und transparent die Fassaden, gläsern auch das Dach, unter dem der Passant trockenen Fußes zwischen den Gebäuden flaniert. Die Realisierung hängt eng zusammen mit einem weiteren Millenniumsprojekt, das in wenigen Fußschritten erreicht ist: der 2004 eingeweihte ICE-Bahnhof.
Seit 2002 halten die schneeweißen Schnellzüge auf dem Weg von Köln nach Frankfurt an der Station, die ganz offiziell Siegburg/Bonn heißt. Der Frankfurter Flughafen ist nur 40 Minuten entfernt. Als Zubringer für Reisende aus Bonn dient die Stadtbahnlinie 66, die die Bundes- mit der Kreisstadt im Zehnminutentakt verbindet.
Hatten wir die Relevanz des Marktes für das Gedeihen der Stadt beschrieben, so gilt dies für den Bahnhof in nicht minderem Maße. Enorm profitierte Siegburg vom frühen Ruf "D'r Zoch kütt" im Siegtal. Schon 1859 hielten die ersten Dampfrösser, die Region trat ein in die Mobilitätsmoderne. Die Schiene machte sich wirtschaftlich bezahlt, war ein wesentlicher Faktor zur parallel einsetzenden Industrialisierung.
Durch die Agger- und Bröltalbahn, die den Austausch von Personen und Gütern zwischen dem östlich gelegenen Mittelgebirgsraum und dem Rheintal erleichterten, kamen 1883/84 und 1899 weitere Haltepunkte hinzu. Im Stadtteil Zange und an der Kronprizenstraße entstanden repräsentative Bahnhofsbauten. Auch wenn man Agger und Bröl schon lange nicht mehr mit der Bahn hinauffährt: Der Nordbahnhof an der Kronprinzenstraße existiert weiterhin, nun aber als Restaurant. Die Trasse der Aggertalbahn wurde teilweise zum Radweg.