Michaelsberg

Ein heiterer Martin Luther

Siegburg. "Inwieweit der Fußballsport hier in Deutschland zum Volkssport geworden ist, zeigen die Fußballspiele der Saison. Überall sieht man die Jugend da draußen beim Kampf mit dem Lederball. Der Siegburger Turnverein 1862 hatte vergangenen Sonntage 77 Spieler in Tätigkeit."
Das Zitat kennen Sie? Stand am Samstag in siegburgaktuell, die Zeilen erschienen vor genau 105 Jahren im "Siegburger Kreisblatt". Die Worte aus dem Fußballaltertum eigenen sich bestens als Einstieg in den Rückblick auf den letzten Dienstagabend im Rhein Sieg Forum.
Rote, Grüne, Blaue, Schwarz-Gelbe - Fans aus allen Lagern sind gekommen, der Meister hält Hof. Arnd Zeigler, Fußballphilosoph, Entertainer, kritischer und komischer Geist, Bremer des Jahres 1997 und seit 2001 Sprecher im Weserstadion. Wie eine Wolke schwebt die eine Frage über dem männerdominierten Saal: Kann über anderthalb Stunden funktionieren, was am Sonntagabend in "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs" über maximal 35 Minuten trägt? Es kann, mit kurzer Halbzeitpause sogar drei Stunden lang.
Die Bühnenshow zur WDR-Sendung umfasst atemlose Dribblings zwischen saulustigen Kacktoren, Thorsten Legats Ringen um zusammenhängende Sätze, Claudia Effenbergs Zunge in Stefan Effenbergs Hals, den Dollarzeichen in den Augen des Fifa-Präsidenten und der Dampflock, die bei einem Verein der dritten slowakischen Liga zwischen Spielfeld und Haupttribüne entlangdampft.
Es wäre falsch, zu glauben, die Fangemeinde erfreue sich nur an Meme-artigen Kurzimpressionen. Zeigler hat Tiefgang. Immer. Er seziert genüsslich ein längst eingestelltes Hochglanzmagazin aus den 1980ern. Homestory bei Thomas Berthold, Blick ins Wohnzimmer von Olaf Thon, beide abgelichtet nebst Gattin. 25-Jährige, die wie 65-Jährige leben, die Schach am Glastisch neben der Sofalandschaft spielen müssen, weil der Fotograf der Boulevardpostille es will. Lerne: Auch als Instagramroutine und Social-Media-Agenturen noch fern waren und Fußballer gedruckte Interviews gaben, glich die Star-Inszenierung einer irritierenden Schmierenkomödie.
Genüsslich zeigt Zeigler einen 45 Jahre alten "Wetten, dass..?"-Ausschnitt, in dem die ohnehin üppig sprudelnde Überheblichkeit Paul Breitners beim Thema Frauenfußball zu einem Wasserfall der Verachtung anschwillt. Man hat ihn genötigt, beim Torwandschießen gegen eine Herausforderin anzutreten. "Absolut unästhetisch", so sein vernichtendes Urteil zu Frauen mit Stollenschuhen. "Ich war immer für Bayern, aber Paul Breitner mochte ich nie", keilt die Angegriffene zurück. Raten Sie, wer das Torwandschießen gewann.
Den Siegburger Auftritt überspannt der Ärger über die Hyperkommerzialisierung des Sports. Der reine Kindheitstraum, so die kaum zu widerlegende Zeigler-Meinung, wird umgemäht von immer PS-stärkeren Red-Bull-Dozern. Der Mahner hat keine Scheu, seine Thesen zur kapitalistischen Metamorphose gleich eines Martin Luther an die Türen zu nageln, an die sie gehören. Anfang des Jahres las er der versammelten DFB-Elite zum 125. Verbandsgeburtstag als Gastredner die Leviten. Er schlug die Funktionäre mit ihren eigenen Waffen, indem er den früheren DFB-Präsidenten Egidius Braun zitierte. Der hatte im Jahr 2000 im Gespräch mit einem Fernsehjournalisten prophetisch die Befürchtung geäußert, dass der Fußball in Zukunft noch viel stärker als bisher wirtschaftlichen Interessen geopfert werde. Wie war das mit dem Dollarzeichen in den Infantino-Augen? Der Schweizer saß bei Zeiglers Gardinenpredigt in der ersten Reihe der Festveranstaltung. Die fand übrigens in Leipzig statt ...

Siegburg. "Inwieweit der Fußballsport hier in Deutschland zum Volkssport geworden ist, zeigen die Fußballspiele der Saison. Überall sieht man die Jugend da draußen beim Kampf mit dem Lederball. Der Siegburger Turnverein 1862 hatte vergangenen Sonntage 77 Spieler in Tätigkeit."

Das Zitat kennen Sie? Stand am Samstag in siegburgaktuell, die Zeilen erschienen vor genau 105 Jahren im "Siegburger Kreisblatt". Die Worte aus dem Fußballaltertum eigenen sich bestens als Einstieg in den Rückblick auf den letzten Dienstagabend im Rhein Sieg Forum.

Rote, Grüne, Blaue, Schwarz-Gelbe - Fans aus allen Lagern sind gekommen, der Meister hält Hof. Arnd Zeigler, Fußballphilosoph, Entertainer, kritischer und komischer Geist, Bremer des Jahres 1997 und seit 2001 Sprecher im Weserstadion. Wie eine Wolke schwebt die eine Frage über dem männerdominierten Saal: Kann über anderthalb Stunden funktionieren, was am Sonntagabend in "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs" über maximal 35 Minuten trägt? Es kann, mit kurzer Halbzeitpause sogar drei Stunden lang.

Die Bühnenshow zur WDR-Sendung umfasst atemlose Dribblings zwischen saulustigen Kacktoren, Thorsten Legats Ringen um zusammenhängende Sätze, Claudia Effenbergs Zunge in Stefan Effenbergs Hals, den Dollarzeichen in den Augen des Fifa-Präsidenten und der Dampflock, die bei einem Verein der dritten slowakischen Liga zwischen Spielfeld und Haupttribüne entlangdampft.

Es wäre falsch, zu glauben, die Fangemeinde erfreue sich nur an Meme-artigen Kurzimpressionen. Zeigler hat Tiefgang. Immer. Er seziert genüsslich ein längst eingestelltes Hochglanzmagazin aus den 1980ern. Homestory bei Thomas Berthold, Blick ins Wohnzimmer von Olaf Thon, beide abgelichtet nebst Gattin. 25-Jährige, die wie 65-Jährige leben, die Schach am Glastisch neben der Sofalandschaft spielen müssen, weil der Fotograf der Boulevardpostille es will. Lerne: Auch als Instagramroutine und Social-Media-Agenturen noch fern waren und Fußballer gedruckte Interviews gaben, glich die Star-Inszenierung einer irritierenden Schmierenkomödie.

Genüsslich zeigt Zeigler einen 45 Jahre alten "Wetten, dass..?"-Ausschnitt, in dem die ohnehin üppig sprudelnde Überheblichkeit Paul Breitners beim Thema Frauenfußball zu einem Wasserfall der Verachtung anschwillt. Man hat ihn genötigt, beim Torwandschießen gegen eine Herausforderin anzutreten. "Absolut unästhetisch", so sein vernichtendes Urteil zu Frauen mit Stollenschuhen. "Ich war immer für Bayern, aber Paul Breitner mochte ich nie", keilt die Angegriffene zurück. Raten Sie, wer das Torwandschießen gewann.

Den Siegburger Auftritt überspannt der Ärger über die Hyperkommerzialisierung des Sports. Der reine Kindheitstraum, so die kaum zu widerlegende Zeigler-Meinung, wird umgemäht von immer PS-stärkeren Red-Bull-Dozern. Der Mahner hat keine Scheu, seine Thesen zur kapitalistischen Metamorphose gleich eines Martin Luther an die Türen zu nageln, an die sie gehören. Anfang des Jahres las er der versammelten DFB-Elite zum 125. Verbandsgeburtstag als Gastredner die Leviten. Er schlug die Funktionäre mit ihren eigenen Waffen, indem er den früheren DFB-Präsidenten Egidius Braun zitierte. Der hatte im Jahr 2000 im Gespräch mit einem Fernsehjournalisten prophetisch die Befürchtung geäußert, dass der Fußball in Zukunft noch viel stärker als bisher wirtschaftlichen Interessen geopfert werde. Wie war das mit dem Dollarzeichen in den Infantino-Augen? Der Schweizer saß bei Zeiglers Gardinenpredigt in der ersten Reihe der Festveranstaltung. Die fand übrigens in Leipzig statt ...

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