Milja Behenetz zum Beispiel. Am 10. September 1925 geboren, gestorben im Alter von nur 19 Jahren am 24. Februar 1945 im mit Stacheldraht gesicherten Lager an der Wilhelm-Ostwald-Straße. Ganz dicht an der Fabrik der Rheinischen Zellwolle, in der sie sich zu Tode arbeitet. Auch Nadja Radtchenko ist Zwangsarbeiterin bei der Zellwolle. Auch sie stirbt, 21 Tage vor Milja, im Zellwolle-Lager an Tuberkulose. Die Geburtsorte der beiden jungen Frauen liegen 80 Kilometer voneinander entfernt - in der Region Cherson.
Gespannte Stille herrscht gestern Abend im Forum des Stadtmuseums, als Archivmitarbeiterin Jessica Riffel über die beiden Ukrainerinnen vorträgt, die auf dem sowjetischen Teil des Nordfriedhofs begraben liegen. Der Geschichts- und Altertumsverein (GAV) hatte zum zweiten Teil seines doppelten Vortragsabends über das Weltkriegsende geladen. Diesmal geht es primär um die Entrechteten, die Zwangsarbeiter, die Kriegsgefangenen.
Es mag unangemessen klingen in diesem Zusammenhang: Aber das, was Wolfgang Klein, Mitwirkender im GAV-Arbeitskreis, vor dem 40-köpfigen Publikum über einen Aufklärungsversuch zum Zellwolle-Unrecht referiert, lässt sich mit dem saloppen Spruch "Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet" auf den Punkt bringen.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen an Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern in dem Chemiewerk, stehen im Raum. Ein Mitarbeiter beschuldigt 1947 seine Kollegen, zu Kriegszeiten die Drahtpeitsche geschwungen zu haben. Ein Fall für die alliierte Justiz. Wie im Nebel stochern die britischen Militärrichter. Die Beklagten sammeln Ehrenerklärungen zu ihren Gunsten, sogenannte Persilscheine. Der Hauptbelastungszeuge erweist sich als vorbestrafter Verleumder, was seine Glaubwürdigkeit massiv untergräbt. Die Sache geht, weil die Menschlichkeitsverbrechen nicht zu beweisen sind, Jahre später zurück an die Deutschen. Am Ende sitzt derjenige im Gefängnis, der den Prozess ins Rollen brachte. Er steht als Rufmörder da. Wolfgang Klein bettet das Geschehen in den Kontext ein: "Die Opfer waren weg, konnten nicht befragt werden. Der Kalte Krieg ließ die Realpolitik über den anfänglichen Idealismus siegen." Heißt: Globale Notwendigkeiten schieben dem angelsächsischen Aufklärungswillen einen Riegel vor.
Szenenwechsel. GAV-Mitglied Ulrich Tondar, Kenner der Historie seines Heimatstadtteils Kaldauen, zoomt hinein in den Morgen des 17. März 1945. Zwangsarbeiter sind auf einem Gewaltmarsch von Köln nach Neunkirchen, um auf den bergischen Höhen unsinnigerweise letzte Verteidigungsblöcke gegen die Übermacht zu gießen, die schon jenseits der Sieg steht. Granaten schlagen ein, die Amerikaner gehen von einer deutschen Truppenbewegung aus, halten voll drauf. 19 Menschen kommen zu Tode. "Der dunkelste Tag in der mehr als 950-jährigen Geschichte", so Tondar, der die verzweifelten Bemühungen der Kaldauer Anwohner, sich ohne tiefere medizinische Kenntnisse und Material um die Verwundeten zu kümmern, detailliert nachzeichnet.
Ja, es gibt kurz vor Kriegsende die tragische Verwechslung in Kaldauen. Generell aber sind die Amerikaner eine Erlösung für die Stadt. Im völlig überfüllten Zuchthaus an der Luisenstraße stapeln sich im Frühjahr 1945 die Leichen, das Fleckfieber grassiert. Ärzte trauen sich nicht hinein. Die Inhaftierten, "Politische" zumeist, sind sich selbst überlassen. Ohne Wasser, ohne Wirkstoffe. Erst die Amerikaner führen auf ihrem Befreiungskurs Medizin nach, bauen ein provisorisches Hospital, wie Stadtarchivar Jan Gerull als vierter Redner beiträgt. Sie sorgen dafür, dass es bei 300 Toten bleibt und die Epidemie nicht über die Gefängnismauern schwappt.
Foto: Die Vortragenden Jessica Riffel und Ulrich Tondar auf dem Podium.