Siegburg. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht wurde Deutschland vom Nationalsozialismus befreit und eine Phase des Wiederaufbaus begann. Was folgte, darüber sprach das Linken-Urgestein Gregor Gysi vergangenen Samstag im Rhein Sieg Forum.
In seinem Vortrag blickte er auf acht Jahrzehnte deutscher Geschichte zurück und zeichnete dabei ein differenziertes Bild von Ost und West. Während das historische Datum des Kriegsendes in der DDR von Anfang an ein staatlich verordneter und ideologisch überwölbter Feiertag war, erfuhr es in der Bundesrepublik als Tag der gefühlten Niederlage Missachtung. Das dröhnende Schweigen über die NS-Untaten wie den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden ging einher. Erst der Beginn einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem steinigen Erbe lenkte den Fokus auf die Mechanismen der nationalsozialistischen Diktatur. Der Vorgang vollzog sich analog zur geistigen Demokratisierung breiter Bevölkerungsschichten.
In der DDR blieb es beim Herbeten der plumpen Antifaschismusdoktrin ohne analytischen Tiefgang. Und ohne Selbstreflexion. Die Täter saßen ja allesamt im Westen. So genau wollte man auch gar nicht zurückblicken, das hätte die eindeutigen Parallelen zum eigenen Staat offenbart. Freiheitliche Rechte, die der Bevölkerung seit 1933 durchgehend verwehrt blieben, musste sie sich hart erkämpfen und schaffte es schließlich 1989 mit der friedlichen Revolution.
Genau diese erstrittenen Werte seien heute zunehmend durch äußere und innere Einflüsse gefährdet. Durch Donald Trump, dem Gysi "Minderwertigkeitskomplexe aufgrund seines ausbleibenden Erfolgs bei Frauen" attestierte. Durch Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der in seinem UdSSR-Großmachtsdenken die Souveränität der Ukraine infrage stellt. Durch die AfD als innerpolitische Kraft, die mit den Spielregeln der offenen Gesellschaft bricht.
"Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssen mehr denn je verteidigt werden", betonte der Redner aus Berlin. Klimawandel, Kriege und soziale Ungleichheit stellten uns zudem vor gewaltige Herausforderungen. Ein Ausdruck von um sich greifender Unsicherheit sei in den sinkenden Geburtenraten zu erkennen. Junge Menschen beschleicht das Gefühl, ihren Kindern kein besseres Dasein mehr ermöglichen zu können. Sie sehen sich an einem Wendepunkt. Die Klimakrise werde Flucht und Migration weiter verstärken, die Schere zwischen Arm und Reich sich weiter öffnen. So verzeichnete Deutschland im Jahr 2023 die höchste Zahl an Milliardären in der Geschichte der Bundesrepublik. "Eine Milliarde - das sind nicht eine, nicht zehn und auch nicht hundert, sondern eintausend Millionen Euro! Wären das Bonbons, könnte man damit ganz Siegburg pflastern." Gleichzeitig weiß die selbsternannte "Silberlocke" auf rückläufige Realeinkommen und -renten hin. Ein alarmierendes Signal für den Zusammenhalt.
Alles in allem zeigt sich am Ende der 60 Minuten: Wir müssen die bestehenden Ungerechtigkeiten gemeinsam angehen, um die Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft zu bewahren - und dürfen sie nicht demokratiefeindlichen und rechten Gruppierungen überlassen.
Musikalisch eingerahmt wurde der Abend von Valerie Haunz (Sopran) und Sofi Simeonidis (Klavier). Sie trugen Werke jüdischer Exilanten vor, darunter Teile des Hollywooder Liederbuchs von Hanns Eisler mit den Zeilen "Ich dreh' mich um, da blüht der Flieder".