170 Personen kamen vorletzten Sonntag zur Vernissage ins Museum. Mario Görög, den Siegburg ansonsten als Moderator des Poetry Slams kennt, sprach in Anlehnung an den österreichischen Maler Oskar Kokoschka gedankenschwere, hoffentlich nicht allzu visionäre Worte ins Mikrofon, die auf das heutige Deutschland zielten: "Ich beglückwünsche Sie zu dem Mut, den Sie noch brauchen werden."
80 Personen in der ausgebuchten Bibliothek hörten danach am Donnerstagabend dem Sammler und Verleger Schumann zu, als er über das Schicksal der Exilierten sprach (Foto). Ungefähr 10.000 Intellektuelle flohen einst vor dem braunen Ungeist, darunter Größen wie die Hannoveraner Publizistin Hannah Arendt, der Berliner Soziologe Herbert Marcuse, der aus Aachen stammende Architekt und Bauhaus-Vordenker Ludwig Mies van der Rohe oder der Wiener Arzt und Psychoanalytiker Siegmund Freud. Schumann: "Ein Aderlass, von dem sich unserere Kultur bis heute nicht erholt hat."
Seine Ausführungen folgten nun nicht den wenigen großen Namen derjenigen, die im Ausland ihren sozialen und finanziellen Status halbwegs aufrechterhalten konnten. Er führte sein Publikum auf Parkbänke, Heuböden und in Campinghütten, wo die meisten Verstoßenen bittere Not spürten. Ein Exilort war das englische Mousewhole (zu Deutsch: Mäuseloch), eine Minisiedlung an der Spitze Cornwalls. Das Ende der Welt war für die einstigen Frauen und Männer von Welt reserviert.
In den Aufnahmeländern erwartete die Autorinnen und Autoren kein Ruhm, sondern Ressentiment, bisweilen Inhaftierung. Diejenigen, die nach 1945 zurückkehrten, waren stilistisch altmodisch und lebten am Rande der Gesellschaft. Das folgte einer inneren Logik. Eine Auseinandersetzung mit ihnen wäre eine Auseinandersetzung mit der unmittelbaren deutschen - und eigenen! - Vergangenheit gewesen, ein Widertand gegen die unausgesprochene Staatsdoktrin, die in den 1950er und 1960er-Jahren eisernes Schweigen einforderte.
Die Schriftstellerin Irmgard Keun ("Das kunstseidene Mädchen") versuchte, den Nazis in Holland zu entkommen, kehrte nach deren Einmarsch in die Niederlande zurück und versteckte sich über Jahre im Haus ihrer Eltern in Köln-Braunsfeld. Später verfiel sie dem Alkohol, wurde jahrelang in der Bonner LVR-Klinik behandelt. Schumann besuchte sie, zusammen setzten sie sich in ein naheliegendes Café. "Das Erste, was sie sich bestellte, war ein Cognac." Obwohl Keun ins Land zurückkam, war das Exil für sie wie für viele andere "a journey without return", eine Reise ohne Wiederkehr.
Unter www.stadtmuseum-siegburg.de zu allen Programmpunkten der "Exil"-Serie.