Michaelsberg

Der Krieg und die Kinder

Siegburg. Das Ende ist nah an diesem 9. April 1945, als die Amerikaner mit badewannenartigen Sturmbooten über die Sieg setzen, um die Hakenkreuzherrschaft ins Reich der Geschichtsbücher zu befördern. Sie haben gewartet am Südufer, Truppen und Material nachgezogen. Jetzt schlagen sie zu, nehmen die Kreisstadt ein, schließen den Ruhrkessel.

80 Jahre Weltkriegsende in Siegburg: Der Geschichtsverein bat die Öffentlichkeit gestern Abend ins Museum. Sechs Referenten aus den eigenen Reihen erklommen das Podium. Ulrich Hofmann, der sich nach ausgiebiger Recherche in amerikanischen Onlinearchiven bestens auskennt mit der Eroberung unserer Stadt, war der Erste, der seine Forschungsergebnisse teilte. Gabriele Warkalla folgte mit der Vorstellung des Nachrichtenblatts der Stadtverwaltung, einer Publikation, über die Neuigkeiten zwischen dem Rathaus und den an der Front stehenden Mitarbeitern ausgetauscht wurden. Die Berichte der Soldaten lesen sich wie Urlaubspostkarten. Zu heiß in Italien, zu regnerisch in Dänemark. In der Beschreibung einer Wanderung durch estnische Wälder klingt Lonely-Planet-Romantik durch. Gleichzeitig wachsen die Beileidsbekundungen auf der Nachrichtenblattseite 1. Die Wirklichkeit bricht spätestens ab 1944 in Propagandastanzen in die scheinbar heile Welt: Standhalten, standhalten, standhalten, so schallt es aus dem Rathaus in der Mühlenstraße in alle Welt. Bis das Rathaus selbst in Trümmern liegt. Joachim Schneider, wie Warkalla ehemaliger Lehrer, kümmerte sich um die Schulen im Krieg. Riesenklassen mit bis zu 70 Augenpaaren, Bombentrichter auf dem Hof, Unterrichtsausfälle, Einsätze in der Landwirtschaft und am Luftangriffswarntelefon. Die Kinder lernen in Schichten. Die Ausnahme als Normalzustand.
Ausgewertet hat der Arbeitskreis die Kriegschronik aus dem Stadtarchiv, ein sprudelnder Quell. Das Tagebuch der Maria Watrinet zum Beispiel lag unberührt im Karton, ehe Klaus Tervooren es las. Die 17-Jährige schildert, unfreiwillig komisch, wie sich der Nachbarsjunge in ein Nachbarsmädchen verwandelt. Der kleine Willi will sich partout nicht im Volkssturm verheizen lassen. Ausländer ziehen in Heerscharen vorbei, die größte Auffälligkeit in den Tagen nach der Stunde Null. Dass jene Polen, die da übermütig jubeln nach Amerikas Ankunft, zuvor unter unmenschlichste Bedingungen schufften mussten, sieht die junge Tagebuchschreiberin nicht.
Hinter Siegburger Gefängnismauern führte Dr. Ralf Forsbach. Er porträtiert den politischen Häftling Walter Markov, der nach Verrat seiner kommunistischen Untergrundaktivität ab 1936 neun Jahre lang an der Luisenstraße einsitzt. Markov, der später zum einflussreichsten Historiker der DDR avancieren sollte, kommt in seinen Memoiren zu einem differenzierten Urteil. Die Arbeit hinter Gittern ist nicht schwer, es ist ihm möglich zu lesen, die Versorgung ist bis 1943 gesichert. Die Rechtlosigkeit des Konzentrationslagers ist fern - bis es zur Überbelegung und dem Ausbruch der Fleckfieberkatastrophe kommt. Umsturzpläne reifen, Konspirateure schmuggeln ihm eine Pistole in die Zelle. Die bürgerliche Mehrheit der Inhaftierten ist nicht zur Revolte unter seiner Leitung zu bewegen. Beinahe anekdotenhaft wirkt die Absetzung des letzten Gefängnisdirektors durch Markov. Die Amerikaner sind zu diesem Zeitpunkt schon in der Stadt, halten zunächst aber Abstand, weil über der Anstalt die Seuchenflagge weht.
Teil 2 des Weltkriegsvortrags am Dienstag, 13. Mai, 18 Uhr, wiederum im Museum. Separate Ankündigung folgt. Foto: Volkschule Wolsdorf, um 1940.

Siegburg. Das Ende ist nah an diesem 9. April 1945, als die Amerikaner mit badewannenartigen Sturmbooten über die Sieg setzen, um die Hakenkreuzherrschaft ins Reich der Geschichtsbücher zu befördern. Sie haben gewartet am Südufer, Truppen und Material nachgezogen. Jetzt schlagen sie zu, nehmen die Kreisstadt ein, schließen den Ruhrkessel.

80 Jahre Weltkriegsende in Siegburg: Der Geschichtsverein bat die Öffentlichkeit gestern Abend ins Museum. Sechs Referenten aus den eigenen Reihen erklommen das Podium. Ulrich Hofmann, der sich nach ausgiebiger Recherche in amerikanischen Onlinearchiven bestens auskennt mit der Eroberung unserer Stadt, war der Erste, der seine Forschungsergebnisse teilte. Gabriele Warkalla folgte mit der Vorstellung des Nachrichtenblatts der Stadtverwaltung, einer Publikation, über die Neuigkeiten zwischen dem Rathaus und den an der Front stehenden Mitarbeitern ausgetauscht wurden. Die Berichte der Soldaten lesen sich wie Urlaubspostkarten. Zu heiß in Italien, zu regnerisch in Dänemark. In der Beschreibung einer Wanderung durch estnische Wälder klingt Lonely-Planet-Romantik durch. Gleichzeitig wachsen die Beileidsbekundungen auf der Nachrichtenblattseite 1. Die Wirklichkeit bricht spätestens ab 1944 in Propagandastanzen in die scheinbar heile Welt: Standhalten, standhalten, standhalten, so schallt es aus dem Rathaus in der Mühlenstraße in alle Welt. Bis das Rathaus selbst in Trümmern liegt. Joachim Schneider, wie Warkalla ehemaliger Lehrer, kümmerte sich um die Schulen im Krieg. Riesenklassen mit bis zu 70 Augenpaaren, Bombentrichter auf dem Hof, Unterrichtsausfälle, Einsätze in der Landwirtschaft und am Luftangriffswarntelefon. Die Kinder lernen in Schichten. Die Ausnahme als Normalzustand. 

Ausgewertet hat der Arbeitskreis die Kriegschronik aus dem Stadtarchiv, ein sprudelnder Quell. Das Tagebuch der Maria Watrinet zum Beispiel lag unberührt im Karton, ehe Klaus Tervooren es las. Die 17-Jährige schildert, unfreiwillig komisch, wie sich der Nachbarsjunge in ein Nachbarsmädchen verwandelt. Der kleine Willi will sich partout nicht im Volkssturm verheizen lassen. Ausländer ziehen in Heerscharen vorbei, die größte Auffälligkeit in den Tagen nach der Stunde Null. Dass jene Polen, die da übermütig jubeln nach Amerikas Ankunft, zuvor unter unmenschlichste Bedingungen schufften mussten, sieht die junge Tagebuchschreiberin nicht. 

Hinter Siegburger Gefängnismauern führte Dr. Ralf Forsbach. Er porträtiert den politischen Häftling Walter Markov, der nach Verrat seiner kommunistischen Untergrundaktivität ab 1936 neun Jahre lang an der Luisenstraße einsitzt. Markov, der später zum einflussreichsten Historiker der DDR avancieren sollte, kommt in seinen Memoiren zu einem differenzierten Urteil. Die Arbeit hinter Gittern ist nicht schwer, es ist ihm möglich zu lesen, die Versorgung ist bis 1943 gesichert. Die Rechtlosigkeit des Konzentrationslagers ist fern - bis es zur Überbelegung und dem Ausbruch der Fleckfieberkatastrophe kommt. Umsturzpläne reifen, Konspirateure schmuggeln ihm eine Pistole in die Zelle. Die bürgerliche Mehrheit der Inhaftierten ist nicht zur Revolte unter seiner Leitung zu bewegen. Beinahe anekdotenhaft wirkt die Absetzung des letzten Gefängnisdirektors durch Markov. Die Amerikaner sind zu diesem Zeitpunkt schon in der Stadt, halten zunächst aber Abstand, weil über der Anstalt die Seuchenflagge weht. 

Teil 2 des Weltkriegsvortrags am Dienstag, 13. Mai, 18 Uhr, wiederum im Museum. Separate Ankündigung folgt. Foto: Volkschule Wolsdorf, um 1940.

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