vom 09.06.2023

Blumen gegen das Böse

Sohn und Enkel verlegen Stolperstein für Anna Remmel

Siegburg. Dritter und letzter Artikel zu den neuen Stolpersteinen in Siegburg. Richtet man vor dem Haus Mühlenstraße 62 den Blick auf den Boden, wird man fortan an Anna Remmel erinnert. Als der Bauhof am Dienstagvormittag die kostbare Gedankenstütze an das Nazi-Unrecht ins Straßenpflaster einbaut, sind mit Margret und Fritz zwei Kinder, mit Paul Remmel ein Enkelsohn von Anna Remmel dabei. Ein bewegender Moment für die Angehörigen. Ein berührender Augenblick für Schüler des Anno-Gymnasiums und Vertreter der Kommunalpolitik, die dazugekommen sind. 

Wie so häufig findet Paul Remmel, den die Stadtgesellschaft als Buchhändler und Verleger kennt, die richtigen Worte: "Meine Oma hat immer Haltung gezeigt." Die Sonne habe sie scheinen lassen, trotz oder gerade wegen des Grauens, das sie erlebte. Wie zum Beweis hält Remmel eine Fotografie hoch, die seine Großmutter in symbolträchtiger Pose zeigt. Die Mühlenstraße, "Müllejass“, ist aufgerissen. Berge von Schutt türmen sich. Mittendrin steht seelenruhig die Oma. Sie pflanzt Blumen.

Zur Biografie: Seit ihrer Hochzeit im Jahr 1927 mit einem Katholiken ist die Jüdin Anna Remmel, geborene Feith, Mitglied der katholischen Kirche. In der Terminologie nach 1933 sind sie und ihre Kinder "Halbjuden". Das Plakat "Deutsche kauft nicht bei Juden" prangt auch am Fenster ihrer Spirituosenhandlung. Als Annas Mann 1942 stirbt, sind die Tage der Witwe und ihrer drei Kinder in der Mühlenstraße 62 gezählt. Am 13. September 1944 werden sie ins Kölner Lager Müngersdorf gebracht. Annas Sohn Fritz, damals sieben Jahre alt, rät der Mutter in kindlicher Naivität: "Mama, lass doch die Leute die schweren Koffer tragen, wenn sie uns schon fortbringen." 

Der 30. September 1944. Mutter und Kinder werden getrennt. Paul, der Älteste, kommt bei seinem Chef in der Domstadt unter, Bruder Fritz gelangt zu ehemaligen Hausangestellten in den Westerwald, Schwester Margret, 12, in ein schwäbisches Waisenhaus. Die Mutter wird am 1. Oktober in den Waggon "verladen". Das Ziel: Theresienstadt. Sie meldet sich einmal per Postkarte vom 28. Januar 1945 bei Paul. "Bei guter Gesundheit. (...) schicke mir 15 Stück Zucker, Seife und etwas Süßigkeiten." Später wird sie über das Lager schweigen. Nur einmal berichtet sie, vom Heiligen Abend 1944. Eine Mitgefangene entbindet in der Baracke, ein Aufseher entreißt der Mutter kurz nach der Geburt das Kind und erschlägt es an einem Baum.

Die Siegburgerin überlebt diese Hölle auf Erden. Sie ist die einzige Person aus der Kreisstadt, die nach der Deportation zurückehrt. Papiere weisen den 4. Mai 1945 als Tag der Befreiung aus Theresienstadt aus. Sie schlägt sich per Anhalter nach Leipzig durch. Von dort fährt sie im Güterwaggon nach Köln, wo sie ihrem Sohn Paul (inzwischen verstorbener Vater der Zwillinge Paul und Andreas Remmel) in die Arme fällt. Bis zu ihrem Tod 1982 lebt Anna Remmel in der Mühlenstraße 62. Sie wird 82 Jahre alt.

Foto: Paul Remmel hat den Stolperstein für die Großmutter in der Hand. Links neben ihm sein Onkel Fritz, Kind von Anna Remmel (eigenes Foto rechts), mit Gattin Marion. 

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