vom 20.05.2022

Männliche Mariechen nach 1945

Siegburger Sonderweg führt zum Bundespräsidenten

Siegburg. So jung und modern war ein Siegburger Museumsgespräch selten. Die Geschichts-AG des Gymnasiums Alleestraße erklärte am Donnerstagabend den Besuchern im Forum, wie sie mit zwei ganz starken Recherchen zu Wolfgang Overath und den Funken Blau-Weiß unser Staatsoberhaupt beeindruckten. Der Bundespräsident ist traditionell Schirmherr des großen Geschichtswettbewerbs mit tausenden Teilnehmern, aber nur wenigen Preisträgern. Die Siegburger nahmen mit den Plätzen zwei und drei Spitzenpositionen ein (wir berichteten). Die Bühne, die ihnen Stadtmuseum jetzt bot, war absolut gerechtfertigt.

Wie das Wettbewerbsmotto "Sport macht Gesellschaft" angehen? Mit der Aufteilung auf zwei Mannschaften und einem ausgeklügelten Matchplan! Lara Felicia Niedt und Katharina Hofbauer dribbelten links und rechts des Eisernen Vorhangs. Sie holten den Kalten Krieg zurück ins Klassenzimmer - nicht den ganzen Krieg, eine einzelne Konfrontation. Sie verschlangen Zeitungsartikel und Bücher aus dem Stadtarchiv zum WM-Spiel 1974 zwischen der BRD und der DDR und interviewten den Siegburger Protagonisten Wolfgang Overath, der gleich zu Beginn mit einer Presse-Falschmeldung aufräumte. Mit der Auswechslung gegen Günther Netzer sei er entgegen anderslautenden zeitgenössischen Berichten einverstanden gewesen, hatte ihn doch eine Blessur geplagt, die sich bei weiteren Sprints zu verschlimmern drohte. War es ein Spiel wie jedes andere? Ja und nein. Der politischen Bedeutung konnte sich die DFB-Elf nicht entziehen, das deutsch-deutsche Bruderduell war allein durch das gewaltige Medienecho besonders. Auf der Gegenseite war man sichtbar nervös. "Die DDR-Spieler guckten uns nicht an, starrten in die Luft. Sie standen anscheinend unter Druck." Das Spannungsfeld zwischen Politik und Sport wirkte kräftig ein auf Sparwasser und Co. Dazu passt, dass die Propaganda des Arbeiter- und Bauernstaats den Steilpass, den der unerwartete 1:0-Sieg lieferte, weidlich nutzte. Lara und Katharina bewiesen großartigen Spürsinn, taten eine Frau auf, die damals in der DDR ein Bild von Wolfgang Overath im Jugendzimmer anhimmelte. Das Porträt besaß Briefmarkengröße, der Fan wollte Streit mit den linientreuen Eltern vermeiden. Die Rechercheresultate der Kids flossen ein in eine multimediale Präsentation, die ihnen Rang drei im Bundeswettbewerb bescherte. Dank an Referendarin Eileen Krahm fürs Coaching und das Durchhaltevermögen trotz der Pandemiebehinderungen! 

Das zweite Team, bestehend aus Olivia Sokolowsky und Adrian Szypryt Abilleira, erklomm den Silberrang. Ihre Untersuchung hieß "Funkenmariechen: Männersache?!" Als historisches Tanzpaar drehen sie sich zurück in die Zeit vor, während und nach dem Nationalsozialismus. Bis 1935 waren männliche Mariechen normal und erregten im karnevalistischen Ausnahmezustand keinerlei Aufsehen. Den braunen Machthabern missfiel das weibische Verhalten, sie wollten den nüchtern-kriegsbereiten deutschen Mann. Also wurde die echte Marie in die Uniform gesteckt. Nach dem Krieg reaktivierten die Funken die Tradition, errangen 1960 mit dem Mariechen Hans Klöfer und dem Offizier Herbert Bosbach sogar den spektakulären Sieg bei einem internationalen Turnier in Bonn-Kessenich. Danach waren auch bei den Funken die gleichgeschlechtlichen Hebefiguren passé. Olivia und Adrian fragten bei einem Kölner Brauchtumsforscher nach: Gab es weitere Mann-Mariechen in der jungen Bundesrepublik? Die Antwort: Nein, die Wiederauferstehung ist ein Siegburger Sonderweg. Lehrerin Melanie Kraatz war begeistert ob der Funde in der historischen Schatztruhe und wird die Jugendlichen bei der Neuauflage des Geschichtswettbewerbs ein zweites Mal anmelden. Ziel ist ein Kaffee- und Kakaotrinken im Schloss Bellevue. "Die Erstplatzierten werden vom Bundespräsidenten persönlich empfangen."

Foto (vl.): Lehrerin Melanie Kraatz, Adrian Szypryt Abilleira, Katharina Hofbauer, Lara Felicia Niedt und Referendarin Eileen Krahm. Olivia Sokolowsky verpasste das Museumsgespräch wegen eines Frankreichaustauschs, sandte eine Videogrußbotschaft.

Wettbewerbsbeitrag "Funkenmariechen - Männersache?!"

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