vom 29.03.2022

Achtung, Propagandafeldzug!

Thema im Museumsgespräch durch Krieg brandaktuell

Siegburg. Ukraine gegen Russland, Selenskij gegen Putin, das ist auch ein Informationskrieg, ein multimediales Gefecht. Handy-Video versus Stadionansprache, Twitter-Gewitter kontra Staatsfernsehen. Es geht um die Deutungshoheit, die in den Auseinandersetzungen des 21. Jahrhunderts eine ähnliche strategische Relevanz besitzt wie die Trutzburgen im Mittelalter.

Neu sind Propagandafeldzüge à la Russia Today nicht. Die Wirkmacht einer rassistisch und sexistisch unterfütterten, frankophoben Kampagne nach dem Ersten Weltkrieg führte im Siegburger Museumsgespräch am Donnerstagabend der Referent Klaus Tervooren vor Augen. Er sprach vor der erfreulichen Anzahl von knapp 30 Gästen im Museumsforum über die Ressentiments gegen die schwarzen französischen Besatzungssoldaten im Rheinland. 

Vor allem rechtsradikale Kreise nutzen den Ausruf "Neger am Rhein!" als Waffe gegen zweierlei Ziele: gegen den ehemaligen Kriegsgegner und aktuellen Rheinlandbesatzer Frankreich und gegen die eigene demokratische Regierung in Berlin, der man die Schuld für die harten Bedingungen des Vertrages von Versailles zuschiebt. Die Vereinbarung sah umfangreiche Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen Deutschlands vor. 

Mit dem auf Deutsch erscheinenden "Nachrichtenblatt" versuchen die Franzosen beinahe verzweifelt, die überall ins Kraut schießenden Gerüchte und gehässigen Attacken der Presse gegen die Soldaten aus ihren Kolonien richtigzustellen. Nicht wenige deutsche Medien zeichnen das Bild unzivilisierter Lüstlinge, die eine stete Gefahr für die deutsche Frau darstellen. Höhepunkt der Schmutzwürfe ist der Dreh des Films "Die schwarze Schmach", in dem die Vorurteile auf widerwärtige Weise kulminieren. 

Das Nachrichtenblatt bemüht sich um Hintergrundinformationen, Gesamtzusammenhänge, Zwischentöne. Es berichtet über einen Gerichtsprozess in Bonn, in dem der Fall einer Siegburgerin verhandelt wird, die sich den Kolonialtruppen als Prostituierte anbot. Nicht die Besatzung, die allgemeine wirtschaftliche Not zwang sie dazu. Der eigene Ehemann stand Schmiere, so wird im Verfahren aufgedeckt. Er betätigte sich als Freier. 

Interessant auch der Einwurf aus der "Welt am Montag" aus Berlin, den die Franzosen als druckwürdig einstufen und im Nachrichtenblatt veröffentlichen. Darin heißt es selbstkritisch zur deutschen Kriegs- und Kolonialpolitik: "Gewiß, wir haben Farbige in geringem Maße verwendet. Wir haben sie nicht herdenweise auf die europäischen Schlachtfelder transportiert, weil wir nicht konnten. Hätten wir es gekonnt, wir hätten es genau so gut getan wie die Feinde, und kein noch so patriotischer Gockel hätte dagegen gekräht, schon deshalb nicht, weil ja jeder abgeschlachtete Schwarze einen deutschen Edelstämmling vor dem Tode gerettet hätte. Das Scheußliche liegt nicht in der Verwendung der Farbigen, es liegt im Krieg."

Fraglich, ob so viel Hintersinn im aufgeheizten Klima der beginnenden Weimarer Republik geistige Abnehmer fand …

Foto: Die Nachrichtenblätter sind eine seltene Quelle. Das Stadtarchiv verwahrt die Jahrgänge 1921 und 1922, der pensionierte Geschichtslehrer Klaus Tervooren wertete sie aus.

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