vom 19.11.2021

Siegburger Facharbeit bewegte die Nogenter

René Leblanc fand im Lande des Erzfeinds sein Glück

Siegburg. Mit 13 Punkten wurde im letzten Schuljahr die Facharbeit von Amelie Potthast aus der Q1 des Anno-Gymnasiums bewertet. Im Fach Französisch schrieb sie in der Fremdsprache von ihrer bewegenden Familiengeschichte. Titel: "In den Fußstapfen meiner Vorfahren." 

Ihr Ur-Ur-Großvater Henri Gabriel Leblanc ist, der Name weist darauf hin, ein Franzose. Geboren 1888 im Department Oise, 100 Kilometer nördlich von Siegburgs Partnerstadt Nogent-sur-Marne. Henri Leblanc kämpft 1916 in Verdun, in einem Gefecht, das in Deutschland heute martialisch als "Fleischwolf" bezeichnet wird. Amelie schreibt dazu: "Bis heute können wir die Dimensionen des Kampfs erkennen. Granatlöcher, Schützengräben, Ruinen, Bunker und Stacheldraht zeigen, dass die Schlacht von Verdun real war, auch wenn wir sie uns nicht vorstellen können." Er überlebt das Völkermassaker nicht. Am 9. März 1916 stirbt er mit nur 27 Jahren und hinterlässt drei Söhne: Robert, Pierre und René. 

Den Lebensweg von Letztgenanntem, vom Uropa René, verfolgt Amelie weiter. 1927, da ist er zwölf, hat er seine erste Schulprüfung. Er besteht den Test im Lesen und Schreiben. Er ist auch grundlegend informiert über das Vaterland, seine Geschichte und Geografie. Kennt er Deutschland? Er weiß jedenfalls, dass es die Granaten der Deutschen waren, die seinen Vater töteten.

René ist ein Abenteurer. Erst arbeitet er auf einem Bauernhof, dann zieht es ihn nach Nordafrika, in die Kolonien. 1940 stellt er sich den anstürmenden Nationalsozialisten entgegen und gerät in Gefangenschaft. Sein Leben erhält eine Richtung, die er zuvor wohl nicht für möglich gehalten hatte. Er wird einem deutschen Bauernhof als Arbeitskraft zugeteilt. Der Hof liegt in Manderbach, das ist etwa 100 Kilometer südöstlich von Siegburg im hessischen Westerwald. 

René verliebt sich in Elfriede, die Tochter des Bauern. Sie halten ihre Liebe geheim, sie ist offiziell verboten. Inoffiziell ist Wilhelm, der Herr des Hauses und Elfriedes Vater, glücklich über Renés Hilfe. Er setzt sich über ein weiteres Verbot, nämlich das gemeinsame Essen von Deutschen und Kriegsgefangenen, hinweg. Er sagt: "Wer für mich arbeitet, sitzt an meinem Tisch!"

René bleibt auf Dauer ein Teil der Tischgesellschaft. Nach einigen Nachkriegswirren heiraten René und Elfriede 1947. Insgesamt hat das Paar drei Kinder. 

René bleibt in Deutschland. Er wird Bauer und Industriearbeiter. Neben der landwirtschaftlichen Tätigkeit jobbt er in einem Stahlwerk, um zusätzliches Geld für die Familie zu verdienen. Er wird als Franzose ein Teil des deutschen Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders. 

Deutscher wird René Leblanc nie. Er behält die französische Staatsbürgerschaft. Vielleicht, so mutmaßt Amelie nach den Gesprächen, die sie in der Familie führte, hat er Angst, seine Herkunftsfamilie zu verraten, seine Wurzeln für immer zu kappen. Er stirbt 22 Tage nach der Goldenen Hochzeit im Jahre 1997. Obwohl er sich in Deutschland mit seiner Familie auf Deutsch unterhält, kommen ihm in den letzten Tagen vor dem Tod nur französische Worte über die Lippen.   

Bürgermeister Stefan Rosemann machte die Facharbeit zum Thema seiner Rede in Nogent-sur-Marne am 11. November, dem Gedenktag an das Ende des Ersten Weltkriegs (wir berichteten). Einige Nogenter kamen auf ihn zu und dankten ihm, tief berührt vom Gehörten. Eine Bewohnerin unserer Partnerstadt berichtete gar, in ihrer Familie gebe es eine ganz ähnliche Lebens- und Liebesgeschichte.

Zurück zu Amelie Potthast. Rosemann hat die junge Frau, die ihn zu seiner Ansprache inspirierte, ins Bürgermeisterbüro eingeladen. Wir werden berichten! 

Foto: Links Henri Leblanc als Soldat im Ersten Weltkrieg. Rechts sein Sohn René, der im Feindesland heimisch wurde.

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