vom 11.04.2021

Hier wird Geschichte geschrieben

Verhilft Wolfgang Overath der Alleestraße zum Meistertitel?

Siegburg. Der Fußball und die Politik, oftmals zwei Seiten einer Medaille. Der WM-Sieg 1954 war nicht nur der erste Titel für die deutsche Nationalmannschaft, die kurzbehosten Idole gaben den Menschen in Deutschland Freude und Selbstwert zurück. Ein Aufbruch in bessere Zeiten! "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen …" Sie kennen die emotional überbordenden Kommentatoren-Worte, selbst wenn Sie dem Ballsport ansonsten mit Desinteresse begegnen. 2006 schlüpften die Bewohner zwischen Rhein, Spree und Donau beim sommermärchenhaften Weltturnier in eine neue Rolle. Zur perfekten Organisation klappte auch die Gastfreundschaft. Leichtfüßig auf und lässig abseits des Platzes verwandelten Poldi und Schweini das Reich der hüftsteifen Teutonen ins Schland des Lächelns. Die Welt mochte Deutschland. Und, noch unglaublicher: Deutschland mochte sich!

"Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft" ist das Motto des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten 2020/21. Das Gymnasium Alleestraße bewegt sich mit. Trotz Lockdown. Trotz Kontaktbeschränkungen, die Einfluss nahmen auf die Arbeit der Schüler, das Befragen von Zeitzeugen, Fachleuten und Sportidolen. Aber eines nach dem anderen.

Nach einem ersten Schnupperbesuch im Siegburger Stadtarchiv zurrte man im September 2020 zwei Themenblöcke für den Wettstreit fest, die Siegburger Verhältnissen Rechnung tragen. Der lokale Bezug der historischen Recherche ist die Grundvoraussetzung. Das Leben und Wirken von Wolfgang Overath sollte es sein. Darum kümmerten sich Lara Felicia Niedt und Katharina Hofbauer. Als zweites Standbein wählten Olivia Sokolowsky und Adrian Abilleira den karnevalistischen Gardetanzsport.

Wer schon einmal über die Vergangenheit geforscht hat, der weiß: Begrenzung ist alles. Das Gebiet darf nicht zu umfangreich sein, sonst droht Verzettelung. Im Interview mit Wolfgang Overath, begleitet von der schuleigenen 360-Grad-Kamera, ging es um das legendäre WM-Vorrundenspiel gegen die DDR im Hamburger Volkspark 1974. Die Westdeutschen wähnten sich im Vorteil, strauchelten prompt. 0:1 ging der deutsch-deutsche-Vergleich verloren, der Magdeburger Jürgen Sparwasser erzielte das goldene Tor. Die Siebt- und Neuntklässler konnten in den entsprechenden Zeitungsartikeln erspüren, dass das Überlegenheitsgefühl Schrammen davontrug. Dennoch holten Overath, Beckenbauer, Müller und Co. am Ende den Weltpokal. 

Der Siegburger Ausnahmespieler beschrieb lebhaft, wie spätestes beim Einlaufen ins Stadion und beim Abspielen der Hymnen die Coolness der erfahrenen Auswahlkicker einer kurzzeitigen Überwältigung wich. Dies war kein Länderspiel wie jedes andere. "Die sprachen wie wir, benutzen dieselben Fachbegriffe. Wir konnten uns verständigen, es gab zaghafte Schulterklopfer." Verbrüderungsszenen im Bruderduell. 

Den jugendlichen Spurensuchern gelang es, einen großen Overath-Fan ausfindig zu machen, der das Spiel jenseits des Eisernen Vorhangs schaute. Die damals junge Frau musste das Poster ihres Kölner Lieblings hinter einer DDR-konformen Wanddekoration vor ihrem linientreuen Vater verstecken. So greifbar kann die Geschichte des Ost-West-Gegensatzes sein!

Wir wechseln fliegend das Sujet, kommen zu Olivia und Adrian, die sich mit dem Gardetanz beschäftigten und eine Website mit multimedialen Inhalten bestückten. Wussten Sie, dass bis in die 1930er-Jahre die Mariechen Männer waren? Dass die Nazis den Männer-Männer-Tanz aus ideologischen Gründen beendeten, dass aber, getragen maßgeblich von den Funken Blau-Weiß, die Tradition nach dem Kriege wiederauflebte und sich anderthalb Jahrzehnte hielt? 

Herbert Bosbach, Urgestein der Funken, wurde befragt. Schulsekretärin Gerdemie Stiefel, die nach dem Kölner Mariechen-Star Gerdemie Basseng benannt ist, sprach ins Mikrofon. Hochinteressant: Als Hans Klöfer als männliche Tanzmarie 1960 den Wanderpokal der Stadt Bonn nach Siegburg holte, nahmen es die Zeitungen mit einem Schmunzeln zur Kenntnis, verweigerten aber konsequent den Blick in die Vergangenheit und die Thematisierung des Verbot der NS-Zeit - ein Beispiel für das große Schweigen der Nachkriegsjahrzehnte über die Ereignisse in der Diktatur. Klöfer war der letzte seiner Zunft. Im Anschluss entließen auch in Siegburg die Offiziere Damen in die Luft. 

Lehrerin Melanie Kraatz ist zuversichtlich, dass die Beiträge ihrer Schülerinnen und Schüler  - niemand ist älter als 15 -  bei der Jury, die die Wettbewerbseinsendungen sichtet und bewertet, gute Chancen auf einen vorderen Platz haben. Sie selbst ging 1992/93 an den Start und holte Silber, durfte dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker die Hand schütteln. In ihrer niedersächsischen Heimat Hoya hatte sie mit der Untersuchung des jüdischen Friedhofs Neuland betreten. Ein bis heute maßgebendes Buch über das Judentum der Stadt an der Weser entstand. "Das prägte mich, führte zu meiner Berufsentscheidung." Es scheint, als hätte es keine bessere Trainerin für das Team Alleestraße geben können.

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