vom 11.08.2020

Vom Flögerhof zur Flak

Johannes Müller rannte barfuß in ein bessres Leben

Siegburg. In siegburgaktuell las Johannes Müller von den Ausführungen über den Flögerhof. Der wird 1375 erstmals erwähnt, stand etwa an der heutigen Autobahnraststätte Siegburg-West: ein mit Ziegelsteinen gedeckter Bauernhof, nebendran eine Scheune mit Strohdach. "Im Flögerhof bin ich geboren und aufgewachsen." Mit seiner Aussage sorgt Müller (Foto) in der Redaktion für Irritationen. Müller wirft eine Erfahrung von fast 92 Lebensjahren in die Waagschale. Der im Newsletter beschriebene Flögerhof allerdings wurde schon vor zwei Jahrhunderten aufgegeben. Zeit für einen Besuch vor dem Seniorenzentrum am Michaelsberg, wo der "Flögerhöfer" wohnt.

"Ich fahre einen FC-Rollator!" Das Erkennungszeichen ist prägnant. Klingel in Ruut und Wiess, die Kappe mit dem Geißbock ruht auf dem Sitzbrett. Im Schatten nehmen wir Platz, kommen ohne Umschweife zur Beweisführung mittels Fotobuch. "Sehen Sie, der Flögerhof. Nicht in Siegburg. In Neunkirchen-Seelscheid. Was früher Wolperath, Wiescheid und Flögerhof hieß, heißt heute nur noch Wolperath."

Die Müllers vom Flögerhof - eine Familiengeschichte, in der sich das 20. Jahrhundert spiegelt wie der blaue Himmel auf der Oberfläche der Wahnbachtalsperre. Müllers Vater, ein Schumacher, hat es schwer in der Zeit der Krise zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Beginn der Naziherrschaft. Er hilft beim Bau der Wahnbachtalstraße. Für das aufwändige und teure Projekt werden Notstandsarbeiter herangezogen. Wirtschaftlich ist es nur von geringem Nutzen.

Vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges steht Müller als 16-Jähriger in Wahn-Libur an der Flugabwehrkanone. Generation Flakhelfer. Die Amerikaner halten ihn eine Nacht in Gummersbach fest. Im LKW mit 120 (!) Gefangenen wird er nach Andernach ins Kriegsgefangenenlager verfrachtet. "Auf der Zeithstraße dachte ich einen Moment: Spring ab und lauf' nach Hause! Aber vielleicht hätten sie mich erschossen."

Die Zustände im Camp am Rhein zählen zur wahrscheinlich härtesten Prüfung in Müllers Leben. Kein Wellblech, nicht mal eine Zeltbahn schützt vor Regen und Sonne. Er lebt praktisch in der Erde, im selbstgegrabenen Loch. Seine Entlassung ist Symbol für das am Boden liegende Land. Am Siegburger Kreishaus von der Lasterpritsche geworfen, läuft er über die Wahnbachtalstraße, die sein Vater baute, bis nach Hause. Der Sohn eines Schusters trägt keine Schuhe, aber die Hoffnung, dass es eigentlich nur besser werden kann.

Später gründet Johannes Müller Familie, wird Vater, Großvater, zehnfacher Urgroßvater. Mit der Germania reist er bis nach Kanada, wird zum Ehrenmitglied der Chorgemeinschaft. Ein einziges "To do" bleibt unabgehakt. "Bei einem Spiel des FC war ich noch nie."

Ein älterer Herr hält ein Album in die Kamera

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